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Nachtrag zu einem Zeitungsbericht

Anfang dieser Woche erschien dieser Artikel auf dem Portal der AZ. An einigen Stellen werde ich zitiert. In diesem Artikel möchte ich zu der Art, wie meine Zitate benutzt wurden und zum Artikel im Allgemeinen äussern.

Die Aargauer Zeitung führte vor ein paar Tagen ein Social-Media-Experiment durch, in welchem sie ein Fake-Profil von einer 15-Jährigen mit aufreizenden Bildern angelegte und die Reaktionen der fremden Männer darauf getestet hat. Im Bericht wird auch ein junger Mann interviewt, welcher dem fiktiven Mädchen Bilder seines nackten Penis gesendet und sie zu einem Treffen eingeladen hat.

In einem Gespräch habe ich mit dem Journalisten das von ihm gefälschte Profil der angeblichen „Melanie“ angeschaut und ihn auf diverse Mängel seines Selbstversuchs aufmerksam gemacht. Sein Vorgehen als fiktive “Melanie” hat nichts mit dem Medienverhalten von Jugendlichen zu tun. Weiter ist das benutzte Profil im Bezug auf seine Erscheinung und seine Einstellungen trügerisch. Es gleicht den Profilen von Prostituierten auf Kundenfang und solchen Profilen, mit denen Betrüger Männer in Sexfallen locken.

Solche Berichte führen meiner Meinung nach nur zu Verunsicherung bei den Eltern und dem Umfeld der Jugendlichen und verhindern eine sachliche Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und den Risiken im Netz. Die Bildung von Medienkompetenz muss auch darauf abzielen, dass Eltern und die Jugendlichen offen und transparent miteinander kommunizieren. Ein solcher Beitrag kann Eltern verunsichern und dazu führen, dass sie ihren Kindern Sachen wie das Anlegen von Social-Media-Profilen verbieten, was oft dazu führt, dass es die Jugendlichen im Geheimen und dadurch auch ohne Begleitung der Eltern machen.
Des Weiteren haben wir über einige andere Themen gesprochen. Unter anderem habe ich davon gesprochen, dass ein Teil der sexuellen Entwicklung von Jugendlichen heute im Netz stattfindet. Sei es, indem sie in gegenseitigem Einvernehmen untereinander Kontakte pflegen, die sexuellen Inhalt haben, oder sie sich an zwielichtige Orte im Netz begeben, wo sie mit sexuellen Inhalten rechnen. In diesem Zusammenhang standen meine Aussagen, dass Jugendliche online auch ihre sexuellen Grenzen austesten.

Dies hat in keiner Wiese mit der Situation zu tun, in denen Jugendliche ungewollt sexueller Belästigung von erwachsenen Männern ausgesetzt werden.

Schon aus diesem Grund muss ich mich von diesem Artikel distanzieren. Gerade auch, da ich darin weiter falsch zitiert werde. Meine Zitate wurden in einem Kontext dargestellt, den ich vorher nicht kannte. Der zuständige Journalist weigerte sich, mir beim Gegenlesen der Zitate den ganzen Bericht zuzustellen. Dies, obschon wir es vereinbart haben. Zudem hat er mein Zitat gekürzt, nachdem ich es ihm freigegeben habe. Ich sagte: „Die Situation, in der einem jungen Mädchen ein Bild eines Penis geschickt wird, kann für dieses schockierend sein und ist auf jeden Fall eine sexuelle Belästigung. Die Eindeutigkeit der Botschaft macht es für das Opfer aber einfacher, die Situation als gefährlich einzustufen, die Absichten sind klar ersichtlich.“ Dass es sich um sexuelle Belästigung und damit eine illegale und strafbare Handlung handelt, ist sowohl für Opfer als auch für Täter eine wichtige Botschaft in der Präventionsarbeit und wurde an dieser Stelle herausgestrichen.
In seinem selbstgefälligen Kommentar schrieb der Journalist sogar: “Die Nachrichten, Bilder und Videos, die sie Melanie geschickt haben, sind schockierend. Das ist kein «Austesten sexueller Grenzen», wie es Laurent Sédano von der Stiftung Pro Juventute formuliert, das ist wahrscheinlich illegal. Den Umstand, dass so etwas heute noch möglich ist, dürfen wir nicht ignorieren – und schon gar nicht tolerieren.”

Hier benutzt er meine Aussage in einem komplett falschen Zusammenhang. Dies widerspiegelt in keiner Weise, was ich gesagt habe oder was ich als Meinung vertrete. Wenn, wie hier, ungefragt anstössige Texte oder Bilder versendet werden, dann ist das sexuelle Belästigung. Punkt. (Der Kommentar wurde inzwischen geändert.)

 

Von PZ ganz verschwiegen, wurde der fliessende Übergang, den er zum Schluss des Artikels macht. Was da folgt, ist das Stossenste an der ganzen Geschichte. Gleichzeitig macht es augenscheinlich, wie naiv im vorliegenden Artikel mit dem Thema umgegangen wird:

Er  schwenkt zurück zum Treffen des erwachsenen Mannes mit der vermeintlichen Melanie, welches anscheinend so stattgefunden hat. Dort verharmlost er einen erwachsenen Mann, der einen Offizialdelikt begeht. Dieser „scheue Bäcker“ bekennt sich dazu, Sex mit Minderjährigen zu suchen und dieser im Netz Bilder seines Penis zu schicken. Dies hat er wiederholt getan, und er wird es wohl weiterhin tun. Er geht sogar so weit, die letzte rote Linie zu übertreten und sich mit einer Minderjährigen zu treffen. Abstruserweise bezeichnet der Journalist ihn sogar als „von der harmlosen Sorte“. Ist er sich bewusst, was er da schreibt, mit wem er da in Kontakt steht, was aus dieser Geschichte noch werden kann?

Dies ist ein bekanntes Muster der RapeCulture, von der ich mich klar distanziere. Beim Victim Blaming wird dem Opfer Mitschuld an einer Missbrauchssituation gegeben. (Titel des Beitrags: “.. das passiert, wenn ein 15-jähriges Mädchen auf FB zu leichtsinnig ist”) Auf der anderen Seite werden Täter von sexuellen Übergriffen verharmlost und ihnen wird Verständnis entgegengebracht.

Solche Berichte dienen nicht dem Jugendschutz und nicht der Förderung von Medienkompetenz. Die einzige Diskussion, die sie auslösen sollten, ist ein Aufschrei gegen Sensationsgier und den Sexismus, den sie enthalten.

Laurent Sedano

Zielgerichtete Mediennutzung 2/2

Im letzten Beitrag habe ich den Grundgedanken einer zielgerichteten Mediennutzung aufgezeigt. Dabei lag der Fokus auf einer in den Alltag eingebundenen Reflexion. In diesem Beitrag möchte ich nun eine grundsätzliche Reflexion aufzeigen, indem ich die folgenden Aspekte der Mediennutzung vertiefe.

 

Soziale Erwünschtheit

Kommt es zur gewünschten Reaktion? Löse ich aus, was ich beabsichtige?

 

Zeit

Komme ich effizient an mein Ziel? Gibt es geeignetere Kommunikationskanäle, um ans Ziel zu kommen? Wann rufe ich an, statt eine Textnachricht zu schicken?

 

Zweck

Erfüllt es den Zweck, den ich erreichen möchte, bspw. Erholung?

 

Hintergrund

Gibt es Rituale oder Gewohnheiten, die es zu erhalten lohnt?

 

Zeitmanagement

Ergibt die Mediennutzung zu diesem Zeitpunkt Sinn? Hilft es meinem Zeitplan oder meinen Vorhaben, denen ich gerade nachgehe?

 

Sinnhaftigkeit

Ist es sinnvoll, diese Tätigkeit mit diesem Medium auszuführen? Gewinne ich dazu? Gibt es mit einem anderen Mittel bessere Resultate?

 

Diese Art zu reflektieren, zielt nicht nur darauf ab, digitale Mediengewohnheiten zu hinterfragen. Aus meiner Sicht lohnt es sich genauso, analoge Gewohnheiten infrage zu stellen und diese auch auf ihre Zielgerichtetheit zu überprüfen.

Was meint ihr? Sinnvoll?

 

Demokratisierung des Fachdiskurses- neue Möglichkeiten des Fachaustauschs

Am 07. September fand in Bern als Abschluss des Programms Jugend und Medien das 3. und vorläufig letzte Fachforum Jugendmedienschutz im Zentrum Paul Klee statt. Hier einige Worte, Gedanken und Beispiele, welchen Nutzen digitale Medien an solchen Veranstaltungen haben können und wie sich mit ihnen die Möglichkeiten von Lernen und Fachaustausch weiterentwickeln können.

Eine Stimme von aussen

Mit dem Projekt JeuneAvis.ch konnte ich ihm Rahmen meiner Anstellung bei der Pro Juventute einen Beitrag zur Tagung leisten. Vom BSV kam das Anliegen, eine junge Stimme ans Fachforum zu holen, um so den Blick der Zielgruppe ins Gespräch zu bringen. Durch bestehende Kontakte und Ideen, die ich schon seit längerer Zeit hatte, habe ich mit Studierenden der HTW Chur ein spannendes Projekt initiiert. Die vier Studierenden haben darauf einen Auftrag des BSV bekommen, und daraus ist in den darauffolgenden Wochen ein Konzept und die Seite JeuneAvis.ch entstanden.

Erkenntnissicherung

Spannend an diesem Beispiel  finde ich, wie dadurch die Möglichkeit von Neuen Medien zur Erkenntnissicherung und zum Einbringen ergänzender Stimmen genutzt werden können. Neben den frontal vermittelten Inhalten wird es so möglich, weitere Ebenen der Diskussion und des Erkenntnisgewinnes zu schaffen und sichtbar zu machen. Der Wert von Fachtagungen lag schon immer nicht nur in den von den Referenten vermittelten Inhalten, sondern auch in den Gesprächen, die vor und nach den Referaten erfolgten. Durch bestimmte Medien werden Teile von diesen sichtbar und erhalten eine neue Qualität.
Aus diesem Interesse habe ich die Zeit investiert, anhand von Storify alle produzierten Inhalte zusammenzufassen:
https://storify.com/LaurentSedano/das-fachforum
Hat sich der Aufwand der 3.5 Stunden gelohnt? Ist es hilfreich, all die Beiträge in dieser Form zu haben? Auf diese Fragen hätte ich gerne eine Antwort von euch.

Neue Wege im Fachaustausch

Es ist an der Zeit, in diesem Bereich neue Wege zu gehen. An dieser Stelle möchte ich auf die bevorstehende Tagung “OpenCon Jugendarbeit 2016” hinweisen. Dies ist eine aus der DOJ-Fachgruppe Neue Medien stammende Initiative, die dabei ist, Form anzunehmen. Die Idee dabei ist, gänzlich auf Referenten und Referentinnen zu verzichten.

„Im Mittelpunkt der Tagung “OpenCON Jugendarbeit 2016” steht ein Austausch über Erfahrungen, Aktivitäten, Projekte und Konzepte zu digitalen Medien in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Dabei sollen sich die Teilnehmenden als Expertinnen und Experten der eigenen Praxis mit anderen Teilnehmenden austauschen können.“ (Aus dem Anmeldungstext)

Schon in der Vorbereitung werden zukünftige Teilnehmende befragt. Ach übrigens! Ihr könnt auch gerne daran teilnehmen, die Umfrage läuft noch. 😉

 

 

 

 

Jugendliche und Datenschutz 1/2

Datenschutz und Privatsphäre sind oft wiederkehrende Themen. Aktuell brennt in Deutschland die Geschichte um die Macher des Blogs Netzpolitik.org. Gegen diese wurde, wegen ihres Einsatzes für Datenschutz und die Rechte der Internetnutzer, ein Verfahren wegen Landesverrats eingeleitet. Diese Aktualität zeigt, wie vielfältig die Interessen in diesem Themenbereich sind. Dies ist auch in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein wiederkehrendes Thema.

Ich höre immer wieder, dass sich Kinder und Jugendliche nicht für den Datenschutz interessieren. Wer dies behauptet, geht meist von der Sicht eines Erwachsenen aus und vergisst die Lebenswelt, in der Jugendliche zuhause sind.
Um die Konzepte „Datenschutz“ und „Privatsphäre“ zu verstehen, ist das Wissen über die geltenden Gesetze, Grundsätze des Datenschutzes, die technischen Möglichkeiten und die Logik der Märkte und des Marketings erforderlich. Ähnlich verhält es sich mit der Privatsphäre. Um diese zu schützen, muss ich ein Verständnis von Privatheit und Öffentlichkeit haben, das selbst die meisten Erwachsenen überfordert.

Die JAMES Studie 2014 gibt an, dass 77.4 % bis 85 % der 12- bis 17-Jährigen die Möglichkeiten zur Privatsphäreneinstellung nutzen und diese auch regelmässig überprüfen.

Ich beobachte bei Jugendlichen ein spezielles Bedürfnis nach Datenschutz, das sich aber von dem der Erwachsenen unterscheidet. Entsprechend ihrer Lebenswelt und Situation zeigt sich ihr Bedürfnis nach Privatheit vor allem durch die Abgrenzung von den Eltern. Ausserdem haben sie ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle, wer welche Daten über sie verbreitet. (Danah Boyd und Alice Marwick, Berkeley 2011)

Dazu einige Beispiele aus der Praxis:
So konnten wir in den letzten Jahren feststellen, dass die Jugendlichen weniger Facebook, hingegen vermehrt Instagram und WhatsApp nutzen. In Gesprächen habe ich oft von Jugendlichen gehört, dass sie dort einfacher den Überblick haben, wer was von ihnen sieht. Sie haben genug von den vielen Möglichkeiten, die Facebook bietet, und sind nicht selten überfordert. Indem sie weniger komplexe Portale nutzen, haben sie eine bessere Kontrolle über ihre Daten.

In einem Workshop haben wir zur Dokumentation des Workshops ein Instagram-Profil eröffnet. Um die Funktionsweise von Hashtags (#) zu demonstrieren, baten wir die Jugendlichen, in der Pause ein Foto unseres Workshop-Plakats zu machen und dieses mit dem Hashtag auf ihrem eigenen Profil zu posten. Niemand in der Gruppe war bereit, unser „uncooles Plakat“ auf seinem Profil zu posten. Ich interpretiere dies als eine Art Privatsphäre, wobei Coolness gewahrt werden soll.

In den Workshops frage ich die Jugendlichen, wie WhatsApp funktioniert und wie eine Nachricht von A nach B kommt. Im Verständnis der meisten Jugendlichen (und auch vieler Erwachsenen) wird die Nachricht direkt vom Telefon A zum Telefon B gesendet. Daraus schliesse ich, dass das nötige technische Wissen fehlt, um die grundlegenden Problematiken des Datenschutzes zu erfassen.
Mein Fazit lautet daher:

• Das Verständnis von Privatsphäre ist vorhanden, aber in Entwicklung.
• Massnahmen zum Schutz der Privatsphäre sind „oft auch“ unbeholfen.
• Technisches Verständnis fehlt.
• Die Einschätzung von „öffentlich“ wird immer schwieriger.

Daraus folgere ich, dass wir Erwachsenen zusehen müssen, wie die Jugendlichen an die für sie nötigen Informationen kommen. Ausserdem braucht es die begleitenden Erwachsenen, die in ehrlichen Gesprächen helfen, dass Jugendliche funktionierende Lösungen im Umgang mit neuen Formen von Privatsphäre und Datenschutz erlangen.

Warum unser oft vorherrschendes Bild von „Digital Natives“ und unser fehlendes technisches Wissen dabei öfters im Wege stehen, erkläre ich in meinem nächsten Blogbeitrag.

Experten tappen in die Dualismus Falle…

Von einigen Fachpersonen, besonders von Philippe Wampfler, wurde das Thema der aktuellen Kampagne von Pro Juventute zwar begrüsst, die Machart indes kritisiert. Wir würden in die ‚Dualismusfalle‘ tappen oder gar bewusst den Dualismus propagieren.

Die eingebrachte Definition für „Digitalen Dualismus“ lautet folgendermassen:

„Digitaler Dualismus bezeichnet die Haltung, dass der Cyberspace oder die virtuelle Welt und die sinnlich erfassbare, reale Welt einen Gegensatz bildeten. Der Digitale Dualismus ist eine verbreitete Überzeugung, die auch die mediale Berichterstattung zu Social Media prägt, wird aber von spezialisierten Soziologinnen und Soziologen abgelehnt.[1]“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Digitaler_Dualismus)

Vorab:
Als Verantwortlicher für das Thema Medienkompetenz bei Pro Juventute sehe ich mich als ‚Brückenbauer‘ zwischen der jugendlichen Lebenswelt und derjenigen der Erwachsenen. Ähnlich wie zu meiner Zeit, als ich in der Offenen und Mobilen Jugendarbeit tätig war, ist dies eine meiner Hauptaufgaben bzw. eines meiner Ziele. Mein jetziger Fokus ist der Bereich „Medienkompetenz“ und da ist einer der Wichtigsten Übersetzungsleistungen, mit der ich konfrontiert werde, dass für Jugendliche die Onlinewelt und die Offlinewelt nicht getrennt sind und beide für sie relevant sind. Bei den Erwachsenen ist es mehr und mehr auch so, es gibt aber Unterschiede, und diese stören die Kommunikation zwischen Jugendlichen und Erwachsenen erheblich. Hier ein älterer Beitrag, den ich zu diesem Thema verfasst habe.

In der Kampagne geht es folglich darum, durch Aufklärung und Sensibilisierung den Druck für Jugendliche aus überhöhten Idealbildern, die von der Gesellschaft an die Jugendlichen herangetragen werden (ob offline, etwa durch den Leistungsdruck in Schule, Beruf oder Elternhaus, der Werbung oder online) zu reduzieren. Der Grund für den Druck liegt in den überhöhten Idealbildern; Social Media ist dabei ein Kanal, der diesen Druck verstärken kann. So haben wir auch unsere Kampagne realisiert.

Wie kommt nun aber Ph.Wampfler auf die Idee, es sei genau umgekehrt?

Zuerst scheint mir wichtig Folgendes zu unterscheiden:

die willentliche, aus Überzeugung vertretene Meinung, diese „Welten“ seien getrennt,

versus

die versehentliche Vermischung der Welten, oder das Tappen in Wortfallen, die nicht einer Überzeugung entspringen, sondern einer Unachtsamkeit, Unbewusstheit dem Thema gegenüber, oder einfach aus sprachlicher Gewohnheit.

Da Ph. Wamplers Kritik lautet, Pro Juventute würde bewusst den Digitalen Dualismus verbreiten, möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, diese Kritik ihrerseits kritisch zu beleuchten:

Schauen wir uns die einzelnen Elemente der Kampagne genauer an:

Die Plakate;
Auf dem ganzen Bild lassen sich keine Anzeichen oder Anspielungen zu einer Social-Media-Applikation finden. Die Jugendlichen schauen traurig, sie halten eine Art Schablone als Idealbild vor sich.

Zu lesen ist der Text: „Viele Ideale haben mit dem echten Leben nichts zu tun; das kann zu psychischem Druck und Krisen führen.“ Dann folgt der Hinweis auf die Notrufnummer 147 für Betroffene.

Auch hier gibt es kein Hinweis auf Soziale Medien, geschweige denn eine Unterscheidung im Sinne der „Dualisierung“.

Zu lesen ist da „echtes Leben“. Wer mit Eltern oder Fachpersonen über Neue Medien und Medienerziehung redet, weiss schon, was da in der Regel kommt, wenn jemand von „echtem Leben“ oder „echtem Kontakt“ oder „echten Freunden“ anfängt. So geht es uns auch. Kann es sein, dass der Experte hier aus einem Art Reflex in seine eigene „Dualismus-Falle“ tappt?

Der Clip

Gleich verhält es mit dem Kampagnen-Clip: kein Hinweis auf Social Media, kein verstecktes „Daumenhoch“-Symbol, das auf eine Vermischung oder Wertung von on und off hinweisen könnte. Der gesprochene Text ist derselbe wie auf dem Plakat.

Die Texte auf der Kampagnenseite:
Hier kommen nach dem Claim, den wir schon bei dem Plakat und den Filmen gesehen haben, ein ein wenig ausführlicherer Text: Hier erscheinen zum ersten Mal „die Sozialen Medien“, der Hinweis auf „andere“ Medien ist vorgelagert.

„Jugendliche sind heute in den Medien und auf Sozialen Plattformen permanent mit den Bildern eines scheinbar perfekten Lebens von Gleichaltrigen und Stars konfrontiert. Der Vergleich mit diesen überhöhten Idealbildern setzt Jugendliche oft psychisch stark unter Druck. Wenn dann die Bestärkung für ein positives Selbst- und Körperbild fehlt, können Selbstzweifel, Ängste, Zwangs- oder Essstörungen bis zu Depressionen und Krisen die Folge sein. Aufklärung und Unterstützung ist daher entscheidend.

Die Jugendkampagne «Echtes Leben» von Pro Juventute zeigt auf, dass das vermeintlich perfekte Leben der anderen nicht der Realität entspricht und bestärkt Jugendliche darin, dass sie nicht durch überhöhte Idealbilder unter Druck gesetzt werden. Ein aufmerksamkeitsstarker Spot, Plakate, Aktionen an Schulen, ein Comic, Merkblätter und Onlineinformationen sensibilisieren für die Thematik und bestärken Jugendliche in ihrem Selbstbild. Eltern, Fachpersonen und Schulen in der ganzen Schweiz erhalten Informationen, wie sie Jugendliche unterstützen können.

Auch hier wird kein Gegensatz zwischen „einer virtuellen Welt oder der realen Welt“ propagiert. Es werden Lebensrealitäten von Jugendlichen angesprochen, zur Sprache kommen Medieninhalte und nicht das Medium selbst.

Diese Massnahmen, die Plakate und der Kampagnen-Clip dienen dazu, für das Thema auf einen Blick und in wenigen Sekunden zu sensibilisieren. Die weiterführenden Massnahmen dienen der konkreten Bestärkung. So ergibt sich das gleiche Bild, wenn man die Kampagnen-Merkblätter unter die Lupe nimmt: Mit Tipps wie:
• „Blenden Sie zurück, wie es war, als Sie selber jung waren. Haben Sie sich nicht auch mit neuen Looks und auffälligen Frisuren von Ihren Eltern abgegrenzt? Waren Freundinnen, Freunde nicht wichtiger als alles andere? Teilen Sie solche Erfahrungen mit Ihrer Tochter, Ihrem Sohn.
• Versuchen Sie im Gespräch, Gemeinsamkeiten zwischen Jungsein früher und heute zu finden. So lernen Sie etwas über die Mediennutzung Ihres Kindes und haben die Möglichkeit, Ihre Lebens erfahrung einzubringen.“

versucht die Kampagne, Eltern dazu zu bringen, den Dualismus zu überwinden und mit Jugendlichen zusammen Brücken zu finden.

Der Comic
Hier findet sich tatsächlich eine Art Wertung. In einer flapsigen Sprache werden die „Möchtegern-Celebrities“ und die „Möchtegern-Rich-Kids“ entwertet und den „Real-Keepers“ gegenübergesetzt. Hier findet sich auch eine Aussage hinter der man ein „dualistisches Missgeschick“ lesen könnte: „Online wäre das schnell retuschiert. Aber das Leben ist nun mal offline.“

Das Comic schliesst mit dem Satz:

„Sie fallen nicht so auf im ganzen Trubel. Weder suchen sie ständig die Aufmerksamkeit von allen noch spucken sie laute Töne. Sie sind spontan und haben Lust auf Abenteuer, aber müssen sich nicht die ganze Zeit selbst etwas beweisen und sich dabei in Szene setzen? Das macht sich nicht langweiliger. Das macht sie unabhängiger und freier als die meisten anderen. Weil sie auf sich hören. Weil sie einfach sich selbst sind.“

Auch hier geht es um ein Verhalten, um Einstellung: wieder kein Hinweis auf online oder offline.

Die Blogbeiträge:

Philipp Wampfler erwähnt ein Zitat einer Autorin aus einem der veröffentlichten Blogbeiträge:
„Beatrix Wagner, Pro-Juventute-Beraterin, schreibt in ihrem Blogbeitrag als Fazit: «Im realen Kontakt mit seinen Mitmenschen kann man der Scheinwelt am besten aus dem Weg gehen. Einige spüren es früher als andere, dass der Blick aufs Handy nicht nur gut tut.» Kommunikation mit dem Handy ist für Jugendliche real. Chatten ist das echte Leben, weil zum echten Leben auch virtuelle Gespräche gehören. Diese Einsicht hängt nicht davon ab, ob diese Gespräche per Telefon, Brief, SMS oder WhatsApp geführt werden.

Möchte man hier eine Dualität herauslesen, wie Ph. Wampfler das macht, d.h., dass der ‚Offlinewelt‘ mehr ‚Realität‘ zugesprochen wird als der Onlinewelt, kann man das tatsächlich tun. Als medienkritischer Leser gehe ich nochmals zum Blog-Artikel und lese, was da geschrieben wurde. In welchem Zusammenhang steht denn diese Aussage?

„So schön eine Tellerwäscher-Karriere oder ein Lottosechser auch scheinen mag, so unrealistisch sind die doch. Der Alltag ist pickelhart und fordert alles von uns ab. Das kann schon mal zu depressiven Gefühlen führen, wenn man glaubt, es sollte anders sein. Denn wo Menschen sich im Spagat zwischen Schein und Sein bewegen, sind Anpassungsleistungen nötig. Diese sind anstrengend. Man ist erstaunt, wie hart uns die Berichterstattungen aus den Krisengebieten der Welt mit der Realität konfrontieren und im Gegenzug einem die Traumwelt der Werbung gefangen nimmt.

Doch was schadet uns schlussendlich mehr? Sind es die Bilder der Flüchtlingsströme aus dem Krieg oder die Scheinwelt? Wir entscheiden, wie wir Meldungen und Eindrücke verarbeiten und einordnen. Wer es ganz einfach nicht auf sich einwirken lassen will oder mag, kann die Geräte ausschalten und sich mit fundiertem Journalismus befassen. Im realen Kontakt mit seinen Mitmenschen kann man der Scheinwelt am besten aus dem Weg gehen. Einige spüren es früher als andere, dass der Blick aufs Handy nicht nur gut tut.“

Es geht da gar nicht um Jugendliche. Auch nicht um jugendliche Gespräche, weder um Kommunikation, noch darum die Online- gegen die Offline-Welt auszuspielen. Es geht nur darum, dass man sich ab und zu eine medienfreie Zeit gönnen soll. Was uns P. Wampfler an anderer Stelle auch empfiehlt:

All diese Beispiele bringen mich auf zwei Thesen:

1) Experten, die sich im Bereich Neue Medien/ Social Media bewegen, haben immer wieder gegen den Digitalen Dualismus zu kämpfen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es im Umgang mit Eltern und Fachpersonen eines der dringendsten Themen ist. Mit der Zeit wird der Experte auf das Thema fixiert und reagiert mit einem Abwehrreflex auf Formulierungen wie „echtes Leben“, weil aus Erfahrung weiss man, was danach kommt.

2) Durch die Verarbeitung einer grossen Menge an Informationen fehlt die Zeit, sich vertieft mit Inhalten auseinanderzusetzen. Auch hier lauert eine Falle, mit dem Urteilen schneller zu sein als mit dem genauen Hinschauen.

Zum Schluss möchte ich eine von vielen Rückmeldungen auf unser Engagement zitieren, die mich berührt hat, weil es von jemandem kommt, dem ich vor Jahren einmal kurz ihm Rahmen einer Arbeitsstelle begegnet bin. Von ihm habe ich die folgenden E-Mail bekommen, worin er zum Schluss kommt:

„…..Nun lese ich im Tagi das Interview mit Ihnen, das mir trotz der Kürze sehr weiterhilft. So können meine Frau und ich mit unseren Hobby-Enkelinnen bei deren Besuchen getrost eher über das reale Leben sprechen, ohne die sozialen Medien verteufeln zu wollen.“

Serge Tisseron Live, digitale Kultur, flüchtige Kontakte und andere frische Gedanken

Am 05. Juni fand in Lausanne ein Symposium zum Thema Jugendliche und Neue Medien statt. Dort hatte ich das Vergnügen, Serge Tisseron sprechen zu hören. Hier ein Versuch, dieses Erlebnis in Worte zu fassen:

Am Anfang seines Vortrags macht Serge Tisseron eine einfache Aussage, welche die folgenden Ausführungen zusammenfasst. Er sagt, die Hauptaufgabe der Erwachsenen bestehe nicht darin, Game- und Bildschirmzeiten oder Aufstellplätze von Computern zu bestimmen, sondern die Herausforderung sei, Jugendliche und ihr ganzes Tun zu verstehen, das heisst, was sie machen, was sie bewegt und wie sie ihre Aufgaben angehen. Für die Erwachsenen sei es immer wichtiger, mit der Zeit mitzuhalten. Ein Mithalten in der Zukunft bedinge das Mithalten heute. Dabei könne keine Stufe ausgelassen werden. Sein Publikum ruft er dazu auf, die Neugier zu behalten und wenn die Neugier bereits verloren sei, sie möglichst schnell wiederzufinden. Er betont, dass diese Veränderung des „Esprits“ wichtiger sei als das Wie und Wo der Mediennutzung.

Zwei Formen von Intelligenz
Tisseron beschreibt zwei Formen von Intelligenz: auf der einen Seite die „lineare“ Intelligenz, die er auch als „kristallin“ beschreibt. Sie merkt sich Sachverhalte, reiht diese aneinander, um sie, wie Kristalle, in eine Verbindung zu bringen. Auf der anderen Seite beschreibt er die „räumlich taktile“ Intelligenz, die sich mehr auf einen dreidimensionalen Raum bezieht und weniger rational ist, sondern sich vielmehr als taktil beschreiben lässt. Zur Zeit der Höhlenmenschen waren diese beiden Intelligenzen noch gleichberechtigt. Seit der Erfindung der Schrift und des Buches fristet die Intelligenz der Bilder und des Gefühls jedoch ein Schattendasein, und die „lineare“ Intelligenz feiert einen Siegeszug. Durch das Aufkommen der digitalen Kultur könnten diese beiden Formen der Intelligenz allerdings wieder gleichberechtigt nebeneinander bestehen.

Weiter beschreibt Tisseron Aspekte dieser neuen digitalen Kultur, die er der noch zumeist vorherrschenden Kultur des Buches und der Schrift entgegenhält. Dazu benutzt er als Beispiel einen Text und seine Eigenschaften. Ein Text in der „Buchkultur“ verfügt über einen klaren Anfang und ein klares Ende. Es gibt immer einen Autor, der den Text verfasst und unterschreibt. Als ein wichtiges Merkmal beschreibt er, dass diese Texte alleine geschrieben werden. Dieser Text ist beendet und wird in einer festen Form (Buch, Zeitung) herausgegeben. Der Text, der typisch ist für die digitale Kultur, hat einen offenen Anfang und ein nicht festgelegtes Ende. Er ist nicht abgeschlossen, da er jederzeit veränderbar ist und wird in einer offenen Form veröffentlicht (Blog, Forum). Auch ist es üblich, einen solchen Text als Kollektiv ohne klaren Absender zu verfassen.

Tisseron meint, dass die Präsenz von Bildschirmen nicht dafür ausschlaggebend sei, welche Kultur vorherrsche. Vielmehr sei es eine Geisteshaltung, eben die Kultur, die entscheidend sei. Er verweist auf die Wichtigkeit, Tiefe und die unglaublichen Möglichkeiten, die diese Kulturänderung mit sich bringe. Alle seine Beispiele hier zu beschreiben, würde diese Zusammenfassung seines Vortrags sprengen. Daher lasse ich es bei diesen Beschreibungen, verspreche aber, diesem Thema einen weiteren Artikel zu widmen.

Möglichkeiten der digitalen Kultur
Als Beispiel weist er darauf hin, dass durch das Gamen eine Entwicklung von neuen Lernformen ermöglicht würde. Wie wäre das Lernen an einer Schule, wenn durch das Gamen bekannte Belohnungsfunktionen genutzt würden? Wie wäre es, wenn wir im Alltäglichen lernen, jeder kleine Erfolg durch ein kleines Feuerwerk gefeiert würde und jeder Lernschritt durch eine kleine Belohnung, ein Geräusch, Musik oder Special Effekts begleitet wäre? Weiter könnten, inspiriert von Games, Lernformen entstehen, die räumlich wie zeitlich unabhängig sind und sich völlig dem Lerntempo der Lernenden anpassen.
Geschichten als Verbindung der beiden Intelligenzformen
Die Kinder sollten nicht von Bildschirmen ferngehalten werden, sondern es sei wichtig, mit den Kindern zu besprechen, was sie sehen und erleben. Dies helfe den Kindern, das Gesehene in nutzbares Wissen und verwertbare Lernerfahrungen zu verwandeln. In diesem Prozess würde sich die Wahrnehmung, die über Bilder, die eher räumliche Intelligenz beanspruchen, mit der linearen Intelligenz nutzbar gemacht, welche sich eher auf das Wort, die Sprache fokussiert. Mehrmals betonte er in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit, Kindern Geschichten zu erzählen und sich von diesen welche erzählen zu lassen. Dies dient dazu, die beiden beschriebenen Intelligenzformen in Verbindung zu bringen. Bilder und Filme wecken Gefühle auf eine eindrückliche Art und Weise. Entscheidend ist, dass Kinder über diese Erfahrungen sprechen. Dabei sollen sie dabei unterstützt werden, diese erlebten Geschichten (Bilder, Hörbücher, Filme) in eine lineare Form von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu bringen, um die Geschichten so für sie fassbar zu machen.

Die Freude an Geschichten entsteht einerseits durch das viele Hören von Geschichten und andererseits, wenn den Geschichten der Kinder zugehört wird. So wird zum Beispiel auch die Lust zu Lesen durch die Freude an Geschichten geweckt, und es entsteht so auch ein Sinn für das Erlernen des Schreibens.
Flüchtige Bindungen in der digitalen Kultur (siehe auch weak ties)
Flüchtige Kontakte sind in der digitalen Kultur sehr wichtig. Neben den festen Kontakten, wie Familie und Freunde, werden diese flüchtigen immer wichtiger. Diese Verbindungen zeichnen sich durch ihre Aktivierbarkeit aus. Braucht der Jugendliche einen Bandraum, eine erste Wohnung oder einen Job, so tut er dies über soziale Netzwerke kund. Sofort werden die Kontakte, die einen Hinweis zum Gewünschten haben, aktiviert. So sind die 500 „stillen“ FB-Freunde plötzlich eminent wichtig.

Dazu kommt, dass es für Erwachsene schwierig zu verstehen ist welche Intimität innerhalb solcher flüchtigen Bindungen vorhanden sein kann. So können Jugendliche mit quasi Unbekannten intensive Momente teilen, indem sie sich zum Beispiel über ihre Lieblingsmusik austauschen. Dazu ist ein näheres Kennen, also auch das Wissen über Aussehen oder Alter, nicht nötig. Weiter sind diese flüchtigen Bindungen dazu nützlich, die eigene Identität zu stützen. Durch das Auffinden einer Gruppe mit ähnlichen Interessen erhält das Individuum eine Bestärkung eines Einzelaspektes seiner Persönlichkeit. Zum Beispiel findet sich der Jugendliche in seinem Interesse für ein Fussballclub unterstützt, wenn er dieses teilen kann.

 

 

Fragen am Schluss
Das Beeindruckende an Serge Tisseron ist seine positive Ausstrahlung. So wird er im Anschluss des Vortrags auch gefragt, warum er trotz seines Alters (74) so jung wirke.
Tisseron antwortet, er sei mit Kino und Comics aufgewachsen. Diese haben ihm Freude bereitet und die damit verbundenen Möglichkeiten hätten ihn jung gehalten. Dabei macht er klar, dass das Jungsein nichts mit Kleidung, Aussehen und der Menge von Botox unter der Haut zu tun hat, sondern mit der anfangs beschriebenen Fähigkeit des Geistes, der Welt mit Freude und Neugier zu begegnen Diese Freude sieht man ihm an.

Darauf folgten noch einige weitere Fragen, deren Antworten die obigen Ausführungen stützten oder ganz neue Fester öffneten. Diese werde ich in einigen folgenden Artikeln beschreiben.

 

Sexting Dramatisierung vs. Sensibilisierung

Aktuell findet online eine kleine Diskussion um die Aktualität über und die Dringlichkeit von Sexting statt.

Solche Diskussionen sind sehr wichtig. Nur, wenn über Themen diskutiert wird, kann auch dazu sensibilisiert werden. Gibt es Sexting? Was ist daran schlimm? Und braucht es Aufklärung?

Jugendorganisationen wie Pro Juventute und ihre Partner setzen sich seit langem für die Förderung der Medienkompetenz ein, informieren über mögliche negative Folgen von Sexting und zeigen Opfern vom Missbrauch von Sexting und Cyber-Mobbing, wo sie Hilfe finden. Vor einigen Tagen antwortete der Blogger Philippe Wampfler dem Newsportal Watson auf Fragen zum Thema Sexting.  Es ist erfreulich zu lesen, dass er mehrheitlich jene Empfehlungen bezüglich des Umgangs mit Sexting weitergibt, die Pro Juventute seit längerem empfiehlt. Er hat gleichzeitig auch seine Meinung kundgetan bezüglich der Aufklärungsarbeit von Pro Juventute und der Berichterstattung darüber. Das Newsportal hebt eine einzelne Aussage als Titel hervor “Das Thema Sexting wird ausgeschlachtet und dramatisiert”. Diese Aussage löste Diskussionen aus. Philippe Wampfler fasste im folgendem Blogbeitrag nach und präzisierte seine Aussagen.

Diesen Faden nehme ich gerne auf. Da sich meine Fachmeinung mit den erarbeiteten Inhalten in der Aufklärungsarbeit von Pro Juventute deckt, erlaube ich mir, in Ich-Form zu schreiben.

1 Sexting ist ein relativ neues Wort, und die Definitionen dazu sind nicht starr. Folglich müssen wir immer wieder auch klären, was wir mit dem Wort meinen. Ich verstehe darunter das Verschicken von selbst gemachten, intimen Fotos an eine bestimmte  Person. Es gibt aber verschiedene Definitionen (z.B. hier). In seinem Blogbeitrag nennt PW dies eine „mediatisierte Form von sexueller Aktivität“. In meinen Worten ist dies „eine neue Spielform der Liebe“.

Werden Fotos ohne Einverständnis gemacht, an andere weitergeschickt oder veröffentlicht, ist dies ein Missbrauch dieser Bilder und stellt darum einen Übergriff dar. Darum spreche ich diesbezüglich auch von Missbrauch von Sexting.

Wir sind uns einig, diesem Missbrauch begegnen zu müssen und den Betroffenen Hilfe zu bieten. Darum ist es auch so wichtig, darüber zu sprechen. Jugendliche, Eltern, Lehrpersonen und im Grösseren gesehen auch unsere Gesellschaft; wir alle müssen darüber sprechen und Wege finden, mit diesen und anderen Entwicklungen umzugehen.

Damit wären wir auch bei der Analogie zum Strassenverkehr. Dabei geht es nicht nur um regulative (Strassenverkehrsgesetze – Medienschutzgesetze) und repressive (Verkehrspolizei –Cyberpolizei) Massnahmen, sondern vor allem darum, die Erziehung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen zu fördern – mit welchen Entwicklungen auch immer wir uns aktuell auseinandersetzen. Diese sind weder per se negativ (so ist Sexting, wie in den Merkblättern der Pro Juventute ausgeführt, nichts Schlechtes – nur der Missbrauch davon) noch per se positiv. Jugendlichen müssen Aufklärung erhalten, wie damit umzugehen ist und welche Risiken es gibt, damit sie eigenverantwortlich heranwachsen können. Im Strassenverkehr sind Gefahren bekannt und bleiben bis auf ein paar aufkommende Veränderungen (bspw. durch das Aufkommen von Elektrovelos) weitgehend gleich. Es ist ganz normal, dass der Verkehrspolizist in die Schule kommt und dass Eltern ihre Kinder aufklären über die Gefahren im Strassenverkehr. In der Medienerziehung sind wir aber noch nicht soweit. Einerseits weil die „Neuen Medien“ noch wenig erforscht sind, andererseits weil sie sich so schnell weiterentwickeln, dass es sogar Fachleuten z. T. schwer fällt, die Veränderungen nachzuvollziehen. Um so erfreulicher finde ich Entwicklungen wie den Entscheid des Europäischen Gerichtshofs, Suchmaschienenbetreiber beim Datenschutz in die Pflicht zu nehmen. Wir sind da als Gesellschaft gefordert, einen guten Umgang zu entwickeln.

Die Idee, dass Aufklärung und Prävention Risiken dramatisieren oder Kinder dazu bringen, etwas auszuprobieren, ist so alt wie falsch. Die gleichen Bedenken gab es beispielsweise bei der Aufklärung zum Schutz vor Geschlechtskrankheiten: Unterstellt man damit nicht allen Jugendlichen, dass sie verantwortungslos ungeschützten Sex haben? Und bringt man sie so nicht erst auf die Idee, überhaupt ungeschützten Sex zu haben? Heute würde das wohl kaum einer mehr behaupten. An der gleichen Stelle stehen wir heute – und diese Diskussion wollen und müssen wir führen. Ich finde die Denkweisen, wie sie in diesen Blogbeiträgen zur Diskussion gestellt wurden, daher sehr wichtig.

Die Pro Juventute bringt durch ihre Aufklärungskampagne Themen ins Gespräch, die Kinder, Jugendliche, Eltern und Schulen beschäftigen. Dabei kommt immer mal wieder der Vorwurf der „Dramatisierung“ auf. Dabei ist es ein Paradox, dass das Warnen vor Gefahren immer auch die Wahrnehmung der Betroffenen beeinflusst. PW schreibt: „Werden Jugendliche als ohnmächtig, statt als handlungsfähig dargestellt, verändert das den Umgang mit ihnen und ihre soziale Roll.“ Das ist ein sehr wichtiger Punkt von ihm. Daher setze ich stets auf die Eigenverantwortung der Jugendlichen und nicht auf Verbote. Ich finde es gut, wenn sich die Pro Juventute politisch dafür einsetzt. Dabei bin ich froh um alle, die sich in diesem Sinne engagieren. Daher gilt hier ein spezieller Dank an das unermüdliche Engagement von PW, die guten Seiten von Social Media und deren kompetente Anwender immer wieder zu betonen.

Das heisst aber nicht, dass gleichzeitig keine Aufklärung betrieben werden soll. Es darf nicht sein, dass die „Handlungsfähigen“ ihre Unterstützung im sozialen Umfeld erhalten und es die Ohnmächtigen, die Hilfsbedürftigen sind, die leiden. Für diese müssen die Themen auf den Tisch.

Würden wir diese Diskussionen über die Wichtigkeit des Themas und die Definition der Begrifflichkeiten führen? Würden Lehrpersonen auf Hilfmittel und Medienberichte zurückgreifen können, um das Thema in der Schule einzubringen, wenn es die Kampagne nicht gegeben hätte?

Ich sehe eine Kampagne als ein Wechselspiel zwischen dem Inhalt und der Form der Kampagne und der Medien und anderen Rezipienten der Inhalte. Einiges ist vorauszusehen, anderes nicht. Bei der Sexting-Kampagne konnte ich feststellen, dass wir in ein brausendes Wespennest gestossen haben. Darum finde ich solche Diskussionen auch notwendig und sinnvoll. Ein wichtiger Tipp, der auch Teil der Kampagne ist, lautet: Bleiben Sie ruhig und hören Sie zu, ohne zu verurteilen.

Apps selber beurteilen

Apps selber beurteilen

Dieser Beitrag ist die Weiterführung meines letzten Artikels, in welchem ich die stetige Neuentwicklung von Apps thematisiert habe.

Das Gespräch mit einer Gruppe von Jugendlichen ist im Gange, es geht um WhatsApp und die neusten Entwicklungen, beispielsweise die zunehmenden Fragen über Ask. Fragen über Ask? Was heisst das nun wieder? Erneut stellen sich die Fragen: Welche Apps kenne ich, sollte ich kennen und wie verliere ich aufgrund der vielen unterschiedlichen Apps nicht den Überblick? In meinem letzten Blogbeitrag habe ich schon erwähnt, wie wichtig ich es finde, nicht alle Apps zu kennen, aber zu wissen, wie ich mich über neue Trends informieren kann. Dazu eine kleine Anleitung:

1.   Nachfragen: Die Jugendlichen können direkt mit den folgenden Fragen angesprochen werden: Was ist toll an dieser App? Was kann man damit machen? Wer hat es auch? Wie sind die Erfahrungen damit? Im besten Falle erfährt man bereits dann, worum es geht. Auch wenn man nicht alles versteht, lohnt es sich, einige der erwähnten Begriffe zu merken. Dabei erfahre ich, dass Ask.fm eine neue App ist, bei der sich alles um Fragen dreht. Später kann gezielt nach diesen Stichworten gesucht werden.

2.   Sich informieren: Ich empfehle die Klassiker Google, Youtube, Wikipedia.

Google:
Die Suchresultate bei Google zum Namen der App geben einen ersten Einblick, wie die App einzuschätzen ist. Sowohl Warnungen als auch Lob bezüglich der App sind zu finden. Dabei stellt sich die Frage, ob sich die positiven und negativen Eigenschaften in einem Gleichgewicht befinden. Versuchen Sie, die Seite der Entwicklungsfirma ausfindig zu machen. Dort finden Sie Informationen zu Verkauf und Werbung der App. Im Falle von ask.fm finde ich viele Suchresultate, die von ask.fm selber stammen. Der Artikel in Wikipedia wird angezeigt sowie weitere bei klicksafe.de und saferinternet.at. Die Lektüre der letzten beiden ist zu empfehlen. Jetzt haben Sie bereits einen Überblick, wie die App funktioniert und was sie kann. Der Fokus liegt dabei auf der Sicht eines Erwachsenen.

Youtube:
Nachdem Sie den Namen der App ins Suchfenster eingegeben haben, erhalten Sie eine breite Palette von Filmen und Tutorials, in denen die App vorgestellt, beschrieben, gelobt und kritisiert wird. Besonders nützlich sind Kritiken von Jugendlichen selbst. Nun können Sie auch Begriffen nachgehen, die Sie sich von den Gesprächen mit Jugendlichen gemerkt haben oder die sich bei der Googlerecherche ergeben haben. Dementsprechend suchen Sie beispielsweise nach: „ask.fm Datenschutz“, „ask.fm anonyme Fragen“, „ask.fm anonyme Fragen blocken“, „Wie funktioniert ask.fm?“, „Was ist toll an Ask.fm?“.
An diesem Punkt wissen Sie bereits einiges über die Ihnen zuvor unbekannte App. Wenn Sie es genau wissen möchten, nehmen Sie sich die Zeit und lesen Sie die AGB der App. Hier noch einige Fragen, denen Sie dabei nachgehen können:

Wer stellt die App zur Verfügung?
Welche weiteren Produkte bietet die Firma an?
Wie wird die App finanziert?
Wie geht die App mit Daten um?
Worauf hat die App Zugriff?

Hilfreich können dabei auch folgende Broschüren sein:

Apps sicher nutzen – Mobile Geräte in Kinderhand (Bayerische Landeszentrale für Neue Medien)

App_Gepasst (Klicksafe.de)

Mit diesem Wissen sind Sie nun gewappnet, erneut mit Jugendlichen ins Gespräch zu treten. Am besten lassen Sie sich die Anwendung nochmals zeigen, und nun können Sie darauf etwas erwidern. Wenn Sie dabei mit einer Antwort auftrumpfen können auf eine Frage, die sich die Jugendlichen gestellt haben, ist es umso besser. So werden Sie zu einer noch kompetenteren Ansprechperson.
Ein weiterer Schritt wäre, die App selber auszuprobieren. Dagegen spricht eigentlich nur der Zeitaufwand, den es Sie kostet. Am besten finden Sie eine Möglichkeit, wie Sie die App für sich selbst nutzen können. Dies stellt sich jedoch manchmal als Schwierigkeit heraus.  Auf keinen Fall sollten Sie die App zuerst im beruflichen Kontext einsetzen.  Trotz sorgfältiger Vorbereitung können ungeschickte Vorgehensweisen kontraproduktiv und peinlich enden.
Persönlich finde ich es wichtig, ein Gefühl für die Apps zu bekommen. Wer keine Erfahrung mit Chatten mit fremden Personen hat, kann vieles nicht nachempfinden, was für Jugendliche Alltag ist. Bei Selbstversuchen stellte ich erstaunt fest, wie ich auf verschiedenste mir unbekannte Menschen mit klaren Gefühlen reagiert habe: Sympathie, Misstrauen, Freundlichkeit und Angst. Dies widerspricht der so oft betonten Kanalreduktion, die es anscheinend schwierig macht, das Gegenüber einzuschätzen. Wenn wir Jugendliche begleiten wollen in ihrem Umgang mit Medien, müssen wir diese Erfahrungen zumindest anerkennen oder noch besser nachvollziehen können. Denn an diesem Punkt beginnen die Gespräche auf gleicher Ebene.
Ich war erstaunt über die Gefühle, die einzelne Anwendungen in mir auslösten, und über die Vielfalt der Erfahrungen, die ich dabei sammelte. Die meisten Apps haben ausserdem noch einen Vorteil: Sie bieten die Möglichkeit, die Nutzung anderer zu beobachten und dabei auch einiges zu lernen.

Viel Vergnügen dabei!

immer mehr App’s

Vor einiger Zeit ist dieser Artikel im Tagesanzeiger erschienen, der in unserer Gruppe einige Diskussionen auslöste. Ich versuche in diesem Blogartikel, die wesentlichen Punkte der Diskussion zusammenzufassen und füge zum Schluss noch eigene Gedanken an:
Die im Artikel erwähnte Studie kommt zum Schluss, dass Jugendliche Facebook vor allem deshalb den Rücken kehrten, weil sie Datenklau und Überwachung fürchteten und sich Gedanken um Datensicherheit und die beeinträchtigte Privatsphäre machten.
Dieser Schluss scheint mir zu ungenau und fasst zu kurz. Er suggeriert, dass Jugendlichen nun endlich verstanden haben, wie unsicher und tückisch Facebook ist. Doch ist das wirklich so? Ich möchten an dieser Stelle darauf aufmerksam machen, dass sich die Probleme von Unsicherheit und Datenklau mit WhatsApp und seinen Nachfolgern keinesfalls lösen. Auch diese Anwendungen sind unsicher und sammeln Daten, um diese weiterzuverwenden.
Der Artikel zeigt deshalb auch andere Gründe auf, warum Jugendliche sich von Facebook abwenden. Hier eine kurze Aufzählung, gepaart mit eigenen Beobachtungen:

•   Jugendliche fürchten Datenklau und Überwachung und haben Angst um ihre Privatsphäre.
•   WhatsApp ist angeblich werbefrei.
•   Die Anwendungen sind einfacher.
•   Die Anwendungen sind angeblich privater.

Hier noch ein par eigene Einschätzungen, die sich zum Teil mit denen des Artikels decken:
•   Facebook ist alt, selbst wir Senioren und Eltern nutzen es inzwischen. Es liegt in der „Natur“ der Jugendlichen, dass sie sich andere Tummelplätze erschliessen, in denen sie mehr unter sich sind.
•   Der Trend hin zu Mobile-Geräten bringen auch andere Apps mit sich.
•   Facebook ist kompliziert und verhältnismässig aufwendig, um aktuell und attraktiv gehalten zu werden. Bei anderen Anwendungen braucht es das nicht.
•   Jugendliche sind lernfähig und ziehen Konsequenzen aus ihren Erfahrungen. Sie erleben selber oder bekommen mit, wie immer wieder ungewollt Fotos und andere Infos an Leute gelangen, für die diese nicht gedacht waren. Also suchen sie sich eine Plattform, bei der das nicht so einfach möglich ist.
•   Medien berichten immer wieder über das böse Facebook. Auch Jugendliche lesen diese Berichte und verbinden sie mit ihren eigenen Erlebnissen.
•   Es ist auch naheliegend, dass Neues ausprobiert und getestet wird. Je einfach und billiger eine Anwendung ist, desto mehr kommt sie bei Jugendlichen an.

Was heisst dies nun für uns Erwachsenen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Jugendliche in ihrer Mediennutzung zu begleiten?
In erster Linie wird es für uns schwieriger, Jugendliche zu begleiten, insbesondere weil sich die Anzahl Apps, über die wir uns informieren sollten, immer grösser wird. Vorbei sind die Zeiten, in denen es gereicht hat, eigene Erfahrungen in Facebook und MSN zu haben und damit schon gut Bescheid zu wissen. Ich selbst musste diese Erfahrung an diversen Kursen auch schon machen. Eltern und Lehrpersonen stellen immer öfters Fragen zu Apps, von denen ich noch nie etwas gehört habe. Meine Lösung liegt darin, einen Schritt zurückzumachen. Wir müssen uns von der „Anwendungsberatung“ entfernen und uns hin zur Medienkompetenz im umfassenden Sinne bewegen. Fachpersonen der Jugendarbeit, Eltern und Lehrer sind gut darin beraten, sich selbst über Medien und ihre Funktionsweise zu informieren. Insbesondere gilt hier die goldene Regel: Bleibt mit euren Jugendlichen in Kontakt und nutzt ihr Wissen! Andere Möglichkeiten sind das gute alte „Googlen“ oder die Informationssuche mit Hilfe von Youtube. Von uns Fachleuten brauchen sie nur noch die Hinweise, welches die kritischen Punkte sind, die sie dabei beachten sollten. Diese folgen bald auf diesem Blog: Also los, tauchen wir ab in die Welt der Apps!

Gute Seiten

Gute Seiten

Hallo Jugendarbeitende

Heute möchte ich Euch die Homepage von Elternnet.ch vorstellen. Diese wird von einem Verein betrieben, der sich zum Ziel gesetzt hat, Eltern und andere Erziehungsbeteiligte in der Mediennutzung zu unterstützen. Einerseits eignet sich diese Seite gut für allfällige Elternanfragen. Andererseits bietet sie auch Jugendarbeitende einiges an Infos. Im Folgenden hebe ich einige, aus meiner Sicht nützliche Inhalte hervor.

  • Spannende Infos zu allen Bereichen der Neuen Medien mit der Altersabstufung Kindergarten/Primar/Teenager
  • Ein umfassendes Glossar mit Begriffen aus dem Bereich Computer/Neue Medien
  • Verschiedene Links zu Internet-Medienführerscheinen
  • Links zu ständig aktualisierter Anleitung für die Privatsphäreneinstellungen in FB
  • Infos zu Recht und Sicherheit
  • Umfassende Infos zu Games

Die Seite ist übersichtlich gestaltet und bietet eher zu viel als zu wenige Infos zu den einzelnen Themengebieten. Mann kann sich also gut ins Thema einarbeiten und vertiefen. Wem das immer noch nicht reicht, findet zahlreiche Links zu weiterführenden Seiten und spannenden Tools für die Arbeit mit Jugendlichen.

Ich wünsche viel Spass beim Lesen!

Laurent Sedano