Nachtrag zu einem Zeitungsbericht
Anfang dieser Woche erschien dieser Artikel auf dem Portal der AZ. An einigen Stellen werde ich zitiert. In diesem Artikel möchte ich zu der Art, wie meine Zitate benutzt wurden und zum Artikel im Allgemeinen äussern.
Die Aargauer Zeitung führte vor ein paar Tagen ein Social-Media-Experiment durch, in welchem sie ein Fake-Profil von einer 15-Jährigen mit aufreizenden Bildern angelegte und die Reaktionen der fremden Männer darauf getestet hat. Im Bericht wird auch ein junger Mann interviewt, welcher dem fiktiven Mädchen Bilder seines nackten Penis gesendet und sie zu einem Treffen eingeladen hat.
In einem Gespräch habe ich mit dem Journalisten das von ihm gefälschte Profil der angeblichen „Melanie“ angeschaut und ihn auf diverse Mängel seines Selbstversuchs aufmerksam gemacht. Sein Vorgehen als fiktive “Melanie” hat nichts mit dem Medienverhalten von Jugendlichen zu tun. Weiter ist das benutzte Profil im Bezug auf seine Erscheinung und seine Einstellungen trügerisch. Es gleicht den Profilen von Prostituierten auf Kundenfang und solchen Profilen, mit denen Betrüger Männer in Sexfallen locken.
Solche Berichte führen meiner Meinung nach nur zu Verunsicherung bei den Eltern und dem Umfeld der Jugendlichen und verhindern eine sachliche Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und den Risiken im Netz. Die Bildung von Medienkompetenz muss auch darauf abzielen, dass Eltern und die Jugendlichen offen und transparent miteinander kommunizieren. Ein solcher Beitrag kann Eltern verunsichern und dazu führen, dass sie ihren Kindern Sachen wie das Anlegen von Social-Media-Profilen verbieten, was oft dazu führt, dass es die Jugendlichen im Geheimen und dadurch auch ohne Begleitung der Eltern machen.
Des Weiteren haben wir über einige andere Themen gesprochen. Unter anderem habe ich davon gesprochen, dass ein Teil der sexuellen Entwicklung von Jugendlichen heute im Netz stattfindet. Sei es, indem sie in gegenseitigem Einvernehmen untereinander Kontakte pflegen, die sexuellen Inhalt haben, oder sie sich an zwielichtige Orte im Netz begeben, wo sie mit sexuellen Inhalten rechnen. In diesem Zusammenhang standen meine Aussagen, dass Jugendliche online auch ihre sexuellen Grenzen austesten.
Dies hat in keiner Wiese mit der Situation zu tun, in denen Jugendliche ungewollt sexueller Belästigung von erwachsenen Männern ausgesetzt werden.
Schon aus diesem Grund muss ich mich von diesem Artikel distanzieren. Gerade auch, da ich darin weiter falsch zitiert werde. Meine Zitate wurden in einem Kontext dargestellt, den ich vorher nicht kannte. Der zuständige Journalist weigerte sich, mir beim Gegenlesen der Zitate den ganzen Bericht zuzustellen. Dies, obschon wir es vereinbart haben. Zudem hat er mein Zitat gekürzt, nachdem ich es ihm freigegeben habe. Ich sagte: „Die Situation, in der einem jungen Mädchen ein Bild eines Penis geschickt wird, kann für dieses schockierend sein und ist auf jeden Fall eine sexuelle Belästigung. Die Eindeutigkeit der Botschaft macht es für das Opfer aber einfacher, die Situation als gefährlich einzustufen, die Absichten sind klar ersichtlich.“ Dass es sich um sexuelle Belästigung und damit eine illegale und strafbare Handlung handelt, ist sowohl für Opfer als auch für Täter eine wichtige Botschaft in der Präventionsarbeit und wurde an dieser Stelle herausgestrichen.
In seinem selbstgefälligen Kommentar schrieb der Journalist sogar: “Die Nachrichten, Bilder und Videos, die sie Melanie geschickt haben, sind schockierend. Das ist kein «Austesten sexueller Grenzen», wie es Laurent Sédano von der Stiftung Pro Juventute formuliert, das ist wahrscheinlich illegal. Den Umstand, dass so etwas heute noch möglich ist, dürfen wir nicht ignorieren – und schon gar nicht tolerieren.”
Hier benutzt er meine Aussage in einem komplett falschen Zusammenhang. Dies widerspiegelt in keiner Weise, was ich gesagt habe oder was ich als Meinung vertrete. Wenn, wie hier, ungefragt anstössige Texte oder Bilder versendet werden, dann ist das sexuelle Belästigung. Punkt. (Der Kommentar wurde inzwischen geändert.)
Von PZ ganz verschwiegen, wurde der fliessende Übergang, den er zum Schluss des Artikels macht. Was da folgt, ist das Stossenste an der ganzen Geschichte. Gleichzeitig macht es augenscheinlich, wie naiv im vorliegenden Artikel mit dem Thema umgegangen wird:
Er schwenkt zurück zum Treffen des erwachsenen Mannes mit der vermeintlichen Melanie, welches anscheinend so stattgefunden hat. Dort verharmlost er einen erwachsenen Mann, der einen Offizialdelikt begeht. Dieser „scheue Bäcker“ bekennt sich dazu, Sex mit Minderjährigen zu suchen und dieser im Netz Bilder seines Penis zu schicken. Dies hat er wiederholt getan, und er wird es wohl weiterhin tun. Er geht sogar so weit, die letzte rote Linie zu übertreten und sich mit einer Minderjährigen zu treffen. Abstruserweise bezeichnet der Journalist ihn sogar als „von der harmlosen Sorte“. Ist er sich bewusst, was er da schreibt, mit wem er da in Kontakt steht, was aus dieser Geschichte noch werden kann?
Dies ist ein bekanntes Muster der RapeCulture, von der ich mich klar distanziere. Beim Victim Blaming wird dem Opfer Mitschuld an einer Missbrauchssituation gegeben. (Titel des Beitrags: “.. das passiert, wenn ein 15-jähriges Mädchen auf FB zu leichtsinnig ist”) Auf der anderen Seite werden Täter von sexuellen Übergriffen verharmlost und ihnen wird Verständnis entgegengebracht.
Solche Berichte dienen nicht dem Jugendschutz und nicht der Förderung von Medienkompetenz. Die einzige Diskussion, die sie auslösen sollten, ist ein Aufschrei gegen Sensationsgier und den Sexismus, den sie enthalten.
Laurent Sedano