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Demokratisierung des Fachdiskurses- neue Möglichkeiten des Fachaustauschs

Am 07. September fand in Bern als Abschluss des Programms Jugend und Medien das 3. und vorläufig letzte Fachforum Jugendmedienschutz im Zentrum Paul Klee statt. Hier einige Worte, Gedanken und Beispiele, welchen Nutzen digitale Medien an solchen Veranstaltungen haben können und wie sich mit ihnen die Möglichkeiten von Lernen und Fachaustausch weiterentwickeln können.

Eine Stimme von aussen

Mit dem Projekt JeuneAvis.ch konnte ich ihm Rahmen meiner Anstellung bei der Pro Juventute einen Beitrag zur Tagung leisten. Vom BSV kam das Anliegen, eine junge Stimme ans Fachforum zu holen, um so den Blick der Zielgruppe ins Gespräch zu bringen. Durch bestehende Kontakte und Ideen, die ich schon seit längerer Zeit hatte, habe ich mit Studierenden der HTW Chur ein spannendes Projekt initiiert. Die vier Studierenden haben darauf einen Auftrag des BSV bekommen, und daraus ist in den darauffolgenden Wochen ein Konzept und die Seite JeuneAvis.ch entstanden.

Erkenntnissicherung

Spannend an diesem Beispiel  finde ich, wie dadurch die Möglichkeit von Neuen Medien zur Erkenntnissicherung und zum Einbringen ergänzender Stimmen genutzt werden können. Neben den frontal vermittelten Inhalten wird es so möglich, weitere Ebenen der Diskussion und des Erkenntnisgewinnes zu schaffen und sichtbar zu machen. Der Wert von Fachtagungen lag schon immer nicht nur in den von den Referenten vermittelten Inhalten, sondern auch in den Gesprächen, die vor und nach den Referaten erfolgten. Durch bestimmte Medien werden Teile von diesen sichtbar und erhalten eine neue Qualität.
Aus diesem Interesse habe ich die Zeit investiert, anhand von Storify alle produzierten Inhalte zusammenzufassen:
https://storify.com/LaurentSedano/das-fachforum
Hat sich der Aufwand der 3.5 Stunden gelohnt? Ist es hilfreich, all die Beiträge in dieser Form zu haben? Auf diese Fragen hätte ich gerne eine Antwort von euch.

Neue Wege im Fachaustausch

Es ist an der Zeit, in diesem Bereich neue Wege zu gehen. An dieser Stelle möchte ich auf die bevorstehende Tagung “OpenCon Jugendarbeit 2016” hinweisen. Dies ist eine aus der DOJ-Fachgruppe Neue Medien stammende Initiative, die dabei ist, Form anzunehmen. Die Idee dabei ist, gänzlich auf Referenten und Referentinnen zu verzichten.

„Im Mittelpunkt der Tagung “OpenCON Jugendarbeit 2016” steht ein Austausch über Erfahrungen, Aktivitäten, Projekte und Konzepte zu digitalen Medien in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Dabei sollen sich die Teilnehmenden als Expertinnen und Experten der eigenen Praxis mit anderen Teilnehmenden austauschen können.“ (Aus dem Anmeldungstext)

Schon in der Vorbereitung werden zukünftige Teilnehmende befragt. Ach übrigens! Ihr könnt auch gerne daran teilnehmen, die Umfrage läuft noch. 😉

 

 

 

 

Jugendliche und Datenschutz 1/2

Datenschutz und Privatsphäre sind oft wiederkehrende Themen. Aktuell brennt in Deutschland die Geschichte um die Macher des Blogs Netzpolitik.org. Gegen diese wurde, wegen ihres Einsatzes für Datenschutz und die Rechte der Internetnutzer, ein Verfahren wegen Landesverrats eingeleitet. Diese Aktualität zeigt, wie vielfältig die Interessen in diesem Themenbereich sind. Dies ist auch in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein wiederkehrendes Thema.

Ich höre immer wieder, dass sich Kinder und Jugendliche nicht für den Datenschutz interessieren. Wer dies behauptet, geht meist von der Sicht eines Erwachsenen aus und vergisst die Lebenswelt, in der Jugendliche zuhause sind.
Um die Konzepte „Datenschutz“ und „Privatsphäre“ zu verstehen, ist das Wissen über die geltenden Gesetze, Grundsätze des Datenschutzes, die technischen Möglichkeiten und die Logik der Märkte und des Marketings erforderlich. Ähnlich verhält es sich mit der Privatsphäre. Um diese zu schützen, muss ich ein Verständnis von Privatheit und Öffentlichkeit haben, das selbst die meisten Erwachsenen überfordert.

Die JAMES Studie 2014 gibt an, dass 77.4 % bis 85 % der 12- bis 17-Jährigen die Möglichkeiten zur Privatsphäreneinstellung nutzen und diese auch regelmässig überprüfen.

Ich beobachte bei Jugendlichen ein spezielles Bedürfnis nach Datenschutz, das sich aber von dem der Erwachsenen unterscheidet. Entsprechend ihrer Lebenswelt und Situation zeigt sich ihr Bedürfnis nach Privatheit vor allem durch die Abgrenzung von den Eltern. Ausserdem haben sie ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle, wer welche Daten über sie verbreitet. (Danah Boyd und Alice Marwick, Berkeley 2011)

Dazu einige Beispiele aus der Praxis:
So konnten wir in den letzten Jahren feststellen, dass die Jugendlichen weniger Facebook, hingegen vermehrt Instagram und WhatsApp nutzen. In Gesprächen habe ich oft von Jugendlichen gehört, dass sie dort einfacher den Überblick haben, wer was von ihnen sieht. Sie haben genug von den vielen Möglichkeiten, die Facebook bietet, und sind nicht selten überfordert. Indem sie weniger komplexe Portale nutzen, haben sie eine bessere Kontrolle über ihre Daten.

In einem Workshop haben wir zur Dokumentation des Workshops ein Instagram-Profil eröffnet. Um die Funktionsweise von Hashtags (#) zu demonstrieren, baten wir die Jugendlichen, in der Pause ein Foto unseres Workshop-Plakats zu machen und dieses mit dem Hashtag auf ihrem eigenen Profil zu posten. Niemand in der Gruppe war bereit, unser „uncooles Plakat“ auf seinem Profil zu posten. Ich interpretiere dies als eine Art Privatsphäre, wobei Coolness gewahrt werden soll.

In den Workshops frage ich die Jugendlichen, wie WhatsApp funktioniert und wie eine Nachricht von A nach B kommt. Im Verständnis der meisten Jugendlichen (und auch vieler Erwachsenen) wird die Nachricht direkt vom Telefon A zum Telefon B gesendet. Daraus schliesse ich, dass das nötige technische Wissen fehlt, um die grundlegenden Problematiken des Datenschutzes zu erfassen.
Mein Fazit lautet daher:

• Das Verständnis von Privatsphäre ist vorhanden, aber in Entwicklung.
• Massnahmen zum Schutz der Privatsphäre sind „oft auch“ unbeholfen.
• Technisches Verständnis fehlt.
• Die Einschätzung von „öffentlich“ wird immer schwieriger.

Daraus folgere ich, dass wir Erwachsenen zusehen müssen, wie die Jugendlichen an die für sie nötigen Informationen kommen. Ausserdem braucht es die begleitenden Erwachsenen, die in ehrlichen Gesprächen helfen, dass Jugendliche funktionierende Lösungen im Umgang mit neuen Formen von Privatsphäre und Datenschutz erlangen.

Warum unser oft vorherrschendes Bild von „Digital Natives“ und unser fehlendes technisches Wissen dabei öfters im Wege stehen, erkläre ich in meinem nächsten Blogbeitrag.

DiagnosTIC

Die Action Innocence hat vor einiger Zeit  die App “DiagnosTIC” herausgegeben. Die App ist für Android und IOS erhältlich. Zusätzlich kann die App auch über den Browser benutzt werden. Die App richtet sich zwar hauptsächlich an Famillien (sprich Eltern), einige Funktionen könnten aber auch für Jugendarbeitende hilfreich sein. Leider existiert die App nur auf Französisch.
Wenn die App zum ersten Mal geöffnet wird, lädt und spielt sie ein kurzes Introvideo ab. Danach können Avatare für verschiedene Familienmitglieder eingerichtet werden. In einem zweiten Schritt werden die Wohnräume der Familienwohnung nachgebaut. Dabei wird zuerst ein Zimmer-Typ gewählt (z.B. Kinderzimmer) und dem Raum ein Familienmitglied zugewiesen. Darauf folgend können Nutzende elektronische Geräte mit den entsprechenden Betriebssystemen auswählen und zuordnen. Abschliessend zum Raum Setting können sie angeben, welche Sicherheitsmassnahmen für die jeweiligen Geräte ergriffen wurden. Man kann zwischen erzieherischen und technischen Massnahmen auswählen. Auf diese Weise wird die Familie mit ihren Gerätschaften Stück für Stück zusammengebaut. Um eine Drei-Zimmer-Wohnung mit drei Personen und ca. 6-8 Geräten zusammenzustellen, benötigte ich etwa 10 Min. Wenn dies abgeschlossen ist, errechnet die App einen groben „Sicherheitsindikator“. Dieser sagt noch nicht viel aus.
Hilfreich sind jedoch folgende Möglichkeiten:
Die einzelnen Zimmer können angeklickt werden und Nutzende erhalten Erziehungstipps oder technische Hinweise. Spannend finde ich, dass man durch einen weiteren Klick zu einem Video Tutorial kommt, indem einem die möglichen Sicherheitseinstellungen für das angegebene Gerät mit dem entsprechenden Betriebssystem (auch Windowsphone und Blackberry) vorgestellt werden. Die Videos sind gut verständlich und nachvollziehbar gemacht und sind auch für Personen verständlich die nicht Französisch sprechen.Wer direkt zu den Videos gelangen möchte, kann aber auch direkt diesen Link nutzen.
Fazit:
Die Applikation, kurz App, ist sicher geeignet, um mit den Kindern zusammen einen Überblick über den „Gerätepark im eigenen Heim” zu bekommen. Der wirkliche Gewinn sehe ich aber in den Videos mit den Erklärungen zu den Sicherheitseinstellungen. Wie in der App auch immer wieder erwähnt, bieten die Einstellungen zwar keinen wirklichen Schutz, manchmal ist es aber praktisch zu wissen, welche technischen Hilfen vorhanden sind.

Emma Holten- der Wunsch nach einer Lösung

Seit einigen Tagen kursiert die Geschichte von Emma Holten. Ihr Handeln wird von allen Seiten als starke Antwort auf „Revenge Porn“ gelobt. Angeblich wurde ihr Mailaccount gehackt, und Fotos von ihr wurden ins Internet geladen. Emma erzählt ihre Geschichte in folgendem Video. Die Botschaft ist stark und verdient gehört zu werden. Doch am Ende des Videos werde ich stutzig. Durch das Veröffentlichen von eigenen Nacktfotos habe sie sich vom Objekt zum handelnden Subjekt gemacht und damit die Macht über ihren Körper sowie ihr Bild in der Öffentlichkeit zurückerlangt. Auf einer abstrakten Ebene kann ich diesen Gedanken nachvollziehen. Ich sehe auch, was sie geschafft hat: die Emanzipation von ihren Peinigern. Dennoch bleiben einige Fragen offen.
Hat sie wirklich „die Kontrolle“ wiedererlangt?
Immer wieder wird argumentiert Emma habe durch diese Aktion die Kontrolle über die Bilder, die ohne ihre Einwilligung verbreitet wurden, wiedererlangt. Gerade das hat sie eben nicht. Sie wendet einen alten Kommunikationstrick an: die Ablenkung, indem sie viel Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt lenkt. Doch die alten Bilder sind immer noch da, an denselben Stellen im Internet vorhanden, mit den gleichen verletzenden Kommentaren. An der Kontrolle über diese hat sich nichts geändert. Zu den alten sind jetzt neue Fotos hinzugekommen. Was bewirken diese? Was denkt die Leserin oder der Leser von Blick am Abend, wenn sie oder er die Geschichte liest? Was denkt sich der Kerl an Stammtisch? Liest er die Geschichte überhaupt, oder reichen ihm die Fotos?
Welche Wirkung hat die Aktion auf andere Opfer?
Die präsentierte „Lösung“ funktioniert nur in diesem ganz speziellen Fall und ist keinem Opfer von ähnlichen Übergriffen eine Hilfe. Sie überbringt die Botschaft: „Du musst nur stark sein und darüberstehen!“ Und wenn das nicht geht? Was, wenn Opfer von solchen Übergriffen nicht stark sind? Was wäre, wenn Emma nicht über ein künstlerisch- und marketingbegabtes Umfeld verfügen würde? Wie wäre die Kampagne verlaufen, wenn Emma nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen würde?
Übernimmt sie bei ihrer Aktion eine Verantwortung gegenüber anderen?
In der Freude über ihre Befreiung vergisst sie die Wirkung ihrer Botschaft für andere Opfer von Übergriffen. Hat sich durch ihre Aktion die Situation der anderen verbessert? Finden diese eine Hilfe im Umgang mit ihrer Geschichte? Sollen sie sich auch nackt fotografieren lassen? Ich denke, für diese ist Emmas Erfolg wohl wenig hilfreich. Auf ihrem Blog ist der Kommentar zu lesen:

“Some women’s liberationists encouraged women to believe that their individual achievements of success, money, and power (especially in spheres historically dominated by men) advance feminist movement. These women need to know their success has little impact on the social status of women collectively and does not lessen the severity of sexist oppression or eliminate male domination. Their individualism is dangerously narcissistic when it leads them to equate personal success with radical political movement. Individual achievements advance feminist movement if they serve the interests of collective feminist struggle as well as satisfying individual aspirations.”
Bell Hooks, Feminist Theory: From Margin to Center

Fazit
Meiner Meinung nach stilisiert hier die Netzgemeinde (unabhängig von Emmas Absichten) eine Lösung für ein Problem, das jedoch (noch) nicht gelöst ist. Ich sehe darin den Wunsch, für mediale Übergriffe eine einfache Lösung zu präsentieren, die erst noch schön anzuschauen ist.
Ich freue mich, wenn es Emma jetzt besser geht. Wir sollten jedoch vorsichtig sein, wie wir die Geschichte interpretieren. Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Netzöffentlichkeit sich hier eine einfache Lösung konstruiert für das Ohnmachtsgefühl darüber, dass das Internet nichts vergisst.
Der Kontrollverlust in einer solchen Missbrauchssituation ist eine Realität, die nicht einfach zu akzeptieren ist. Diese Realität ändert sich nicht, indem wir Heldengeschichten kreieren. Für mich ist Emma eine Heldin, weil sie ihre Geschichte erzählt und sich zu ihr bekennt. Die Nacktfotos braucht es dazu aber nicht.

Gute Morge mitenand

Letzte Woche habe ich auf YouTube  ein Video gesehen. Darin sieht man einen jungen Mann, der nackt sein Geschlechtsteil schwingt und locker „guete Morge mitenand” singt. Wieso macht ein junger Mensch so etwas? In den Medien habe ich sogar gelesen, dies sei ein neuer Trend.

Mögliche Erklärungen

Hier einige Versuche, dieses Verhalten zu interpretieren:

Jugendliche müssen sich auszuprobieren, neu erfinden und dabei Grenzen auszuloten, diese zu überschreiten, gehört dazu.

Dabei sind sie auf der Suche nach Anerkennung, die durch Auffallen gewonnen wird. Dass die Jugendlichen, die Grenzen überschreiten, am meisten Aufmerksamkeit bekommen, kennen wir aus der Jugendarbeit.

Betrachten wir das Fernsehprogramm, ist es nachvollziehbar, warum Jugendliche berühmt sein wollen. In der Überzahl sind Sendungen, in denen Herr und Frau jedermann in peinlichsten Situationen zu sehen und so zu ihrer Portion Öffentlichkeit und Ruhm gerlangen.

Mit einem solchen Film kann jemand berühmt werden und so seinen sozialen Status „verbessern“.

Versuche einen solchen Film als ein virtuelles Graffiti anzusehen.

YouTube hat schon einige Leute berühmt und reich gemacht. Junge Menschen, die Beauty- oder Anmach-Tipps geben, oder solche, die von einem Nobody zu Justin Bieber werden. Bei Youtube kann man sich mit einem speziellen Konto anmelden und bekommt bei einer gewissen Anzahl Klicks Geld ausbezahlt. Es könnte also auch sein, dass der besagte junge Mann dies weiss und auf diesem Weg zu Geld kommen will.

Dies sind also einige Einschätzung, was die Motivation hätte sein können. Bitte sei dir bewusst, dass wir wohl nie wissen werden, was in diesem Einzelfall die Motivation war.

Eine gesellschaftliche Frage?

Menschen suchen für komplexe Zusammenhänge möglichst einfache Erklärungen. Die Medien helfen uns, diese zu bekommen. Ich frage kritisch; was ist den ein Trend? Ist hier sauber recherchiert worden? Die Erwachsenenwelt scheint  erpicht darauf, „die Jugend“ auf Trends und anscheinend dummes Verhalten zu reduzieren. Wir sind bereit, über solche Filme zu lachen, wir zeigen sie am Arbeitsplatz herum. Aber würden wir diesen Jungen auch als Lehrling aufnehmen?

Durch die Möglichkeiten von Social Media sehen wir immer mehr in die Leben anderer. Vieles was früher privat war, wird sichtbar. Für die Darsteller solcher Filme entstehen so einige Nachteile, die für ihr weiteres Leben sehr mühsam werden können. Die Gesellschaft passt aber auch ihre Normen an und gewöhnt sich an das Auftauchen solcher Filme, weshalb die Aufmerksamkeit schwindet. Dadurch entsteht natürlich ein Teufelskreis, denn es wir immer mehr brauchen, um aufzufallen.