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Verbote und die Vermittlung von Medienkompetenz

In der Zusammenarbeit mit Fachkräften erlebe ich eine erfreuliche Entwicklung. Immer öfters werden Regeln, im Speziellen Verbote, als nicht abschliessende Lösungen von Problemen mit digitalen Medien gesehen. Vermehrt wird die Wichtigkeit der Vermittlung von Medienkompetenz in den Vordergrund gestellt. Die Erkenntnis, dass Medien genutzt werden müssen, um den Umgang mit ihnen zu lernen, setzt sich immer mehr durch. Dabei stellt sich neu aber die Frage: Dürfen wir überhaupt Regeln oder gar Verbote aufstellen? Ich nenne diesbezüglich das Beispiel einer Schulleiterin, die nach mehreren Fällen, in denen Nacktbilder von Schülerinnen und Schülern (SuS) auf dem Pausenhof kursiert waren, ein Handyverbot in der ganzen Schule erlassen hat. Die SuS müssen nun vor Unterrichtsbeginn ihr Handy abgeben und erhalten es erst nach Unterrichtsende wieder zurück. Dabei ist sie mit dieser Regel nicht ganz glücklich. So ist zwar das Problem im Umfeld der Schule gelöst, sie ist sich aber bewusst, dass durch dieses Verbot das Problem nur verschoben wird. Es stellt sich die Frage, wie es weitergehen soll. Solche und ähnliche Situationen erlebe ich in verschiedensten Settings. Fachkräfte sind sich gewohnt, Regeln und Verbote als Signal oder Schutzmassnahme zu erlassen. Die Frage lautet jedoch, wie aus solchen Situationen gelernt werden kann.

Verbote als Schutz
Weit verbreitet ist der Einsatz von Verboten, um Ruhe und/oder Sicherheit zu schaffen. Social Media macht vieles sichtbar. Jugendliche fotografieren und teilen nicht nur ihr eigenes Leben (mit allen Sonnen- und Schattenseiten), sondern auch das Leben, das sie mit Fachpersonen teilen. Ob es ein schönes, neues Kleid ist oder der Wutanfall einer Lehr- oder Betreuungsperson, spielt dabei keine Rolle. Ist man als Fachkraft im pädagogischen Bereich tätig, muss man sich mit diesem Umstand auseinandersetzen. Das Leben in der Klasse, auf der Wohngruppe oder im Jugendtreff ist nicht mehr länger unsichtbar für die Nichtanwesenden. (einen spannenden Fachartikel zu diesem Thema findet ihr hier ab S.6). Es ist verständlich, dass Fachkräfte sich und die Jugendlichen schützen wollen und daher den Gebrauch von Handys in ihren Institutionen verbieten wollen. Oft spielt in diesem Schutzgedanken auch der Aspekt mit, die Nutzungsdauer der Geräte einzuschränken, damit die Jugendlichen nicht “mediensüchtig” werden.

Verbote als Signal
Verbote werden auch eingesetzt, um zu signalisieren, was wir gut finden und was nicht. Kommt es zu Übergriffen, bei denen digitale Medien eine Rolle spielen (Missbrauch von Sexting, Cybermobbing usw.), kann ein generelles Verbot ein starkes Signal dafür sein, welche Verhaltensweisen eine Institution nicht akzeptiert, das alle zu spüren bekommen. Diese Signale werden jedoch nur verstanden, wenn sie gut kommuniziert werden.
In unserem Beispiel mit der Schule könnte das heissen: „Nach mehrmaligem Auftauchen von Nacktfotos auf dem Pausenplatz sehen wir uns gezwungen, auf dem Schulareal ein striktes Handyverbot zu erlassen. Verschiedene Abklärungen zur rechtlichen Situation sind in Abklärung.“
Durch eine solche Erklärung kann der Zusammenhang zwischen dem Verbot und dem Vorfall erkannt werden und das Verbot wird zum Signal.

Verbote zur Förderung der Medienkompetenz
Verbote können auch ermöglichen, andere Erfahrungen, als die bisher gekannten, zu machen. Medienkompetent ist, wer seine Mediennutzung reflektieren und daraus Lernerfahrungen ableiten kann. Wie sollen Jugendliche ihren Mediennutzen reflektieren, wenn sie nicht wissen, wie es ist, einen Unterricht oder einen Teil der Freizeit ohne ständige Nachrichtenflut zu bewältigen? Hier können Verbote in Form von Regeln helfen.

Auch dazu gibt es ein Beispiel, das ich vor kurzem erlebt habe: In einem Jugendheim wurde vor anderthalb Jahren der Nutzen von Handys massiv eingeschränkt. Auch bei dieser Institution stand damals ein Schutzgedanke im Vordergrund. Unter riesigem Protest wurden dann die Geräte eingesammelt und deren Nutzen streng geregelt. Nach einiger Zeit hat sich im Team die Erkenntnis durchgerungen, dass die Jugendlichen später in eine Mediengesellschaft entlassen werden und daher der Umgang mit Medien gelernt werden sollte. Das Team dieser Institution hatte den Mut, die geltenden Nutzungsregeln mit den Jugendlichen zu thematisieren. Sie waren sehr erstaunt darüber, wie die Jugendlichen reflektiert die Vorteile von medienfreier Zeit formulierten. Dieser Lerneffekt wäre wohl ohne dieses Verbot nicht möglich gewesen.

Regeln sind sinnvolle Verbote
Ich sehe es als eine wichtige Aufgabe in der Medienerziehung, Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, ihren Mediengebrauch zu disziplinieren. Um einen sinnvollen Nutzen zu finden, brauchen sie klare Regeln, welche mit ihnen erarbeitet und von ihnen eingehalten werden sollten. Wir müssen uns bewusst sein, dass solche sinnvollen Regeln immer einen höheren Zeitaufwand und eine Auseinandersetzung fordern, weil:

• wir Regeln für ein Lebensbereich finden müssen, der uns selbst vielleicht fern ist, im Leben der Jugendlichen jedoch sehr wichtig ist. Darum sind wir umso mehr auf ein Miteinander mit Jugendlichen angewiesen, weil sonst der Kontakt mit ihnen nicht möglich ist und dabei auch die verhandelten Regeln nicht sinnvoll sind.

• Regeln begründet werden müssen. Eine gute Begründung bedingt eine klare Haltung, welche wiederum eine Auseinandersetzung mit sich und dem Thema bedingt.

• Eine Verhandlung über Regeln bedingt eine gute Beziehung, welche wiederum nur auf Vertrauen und Verlässlichkeit beruhen kann.

• Der Lernprozess, der durch eine Regel angeregt werden soll, muss meistens begleitet werden. Dies bedingt eine Kommunikation, die für viele Organisationen noch neu ist (z.B. zwischen der Schule und den SuS).

Für unser Beispiel der Schule würde dies bedeuten, dass die Schulleitung mit den SuS in eine Kommunikation einsteigt. Sie muss sich nach der Erfahrung, welche die SuS mit der neuen Regel gemacht haben, erkundigen. Mit den Rückmeldungen nach solchen Gesprächen oder einer Befragung kann sie das in einer Notsituation erlassene Verbot in eine sinnvolle Regel umwandeln. Auf diese Weise kann ein Lernprozess für die ganze Schule entstehen.

Fazit:
Traut euch, Regeln und Verbote aufzustellen, wenn diese Lernen und neue Erfahrungen zum Ziel haben.

Sexting Dramatisierung vs. Sensibilisierung

Aktuell findet online eine kleine Diskussion um die Aktualität über und die Dringlichkeit von Sexting statt.

Solche Diskussionen sind sehr wichtig. Nur, wenn über Themen diskutiert wird, kann auch dazu sensibilisiert werden. Gibt es Sexting? Was ist daran schlimm? Und braucht es Aufklärung?

Jugendorganisationen wie Pro Juventute und ihre Partner setzen sich seit langem für die Förderung der Medienkompetenz ein, informieren über mögliche negative Folgen von Sexting und zeigen Opfern vom Missbrauch von Sexting und Cyber-Mobbing, wo sie Hilfe finden. Vor einigen Tagen antwortete der Blogger Philippe Wampfler dem Newsportal Watson auf Fragen zum Thema Sexting.  Es ist erfreulich zu lesen, dass er mehrheitlich jene Empfehlungen bezüglich des Umgangs mit Sexting weitergibt, die Pro Juventute seit längerem empfiehlt. Er hat gleichzeitig auch seine Meinung kundgetan bezüglich der Aufklärungsarbeit von Pro Juventute und der Berichterstattung darüber. Das Newsportal hebt eine einzelne Aussage als Titel hervor “Das Thema Sexting wird ausgeschlachtet und dramatisiert”. Diese Aussage löste Diskussionen aus. Philippe Wampfler fasste im folgendem Blogbeitrag nach und präzisierte seine Aussagen.

Diesen Faden nehme ich gerne auf. Da sich meine Fachmeinung mit den erarbeiteten Inhalten in der Aufklärungsarbeit von Pro Juventute deckt, erlaube ich mir, in Ich-Form zu schreiben.

1 Sexting ist ein relativ neues Wort, und die Definitionen dazu sind nicht starr. Folglich müssen wir immer wieder auch klären, was wir mit dem Wort meinen. Ich verstehe darunter das Verschicken von selbst gemachten, intimen Fotos an eine bestimmte  Person. Es gibt aber verschiedene Definitionen (z.B. hier). In seinem Blogbeitrag nennt PW dies eine „mediatisierte Form von sexueller Aktivität“. In meinen Worten ist dies „eine neue Spielform der Liebe“.

Werden Fotos ohne Einverständnis gemacht, an andere weitergeschickt oder veröffentlicht, ist dies ein Missbrauch dieser Bilder und stellt darum einen Übergriff dar. Darum spreche ich diesbezüglich auch von Missbrauch von Sexting.

Wir sind uns einig, diesem Missbrauch begegnen zu müssen und den Betroffenen Hilfe zu bieten. Darum ist es auch so wichtig, darüber zu sprechen. Jugendliche, Eltern, Lehrpersonen und im Grösseren gesehen auch unsere Gesellschaft; wir alle müssen darüber sprechen und Wege finden, mit diesen und anderen Entwicklungen umzugehen.

Damit wären wir auch bei der Analogie zum Strassenverkehr. Dabei geht es nicht nur um regulative (Strassenverkehrsgesetze – Medienschutzgesetze) und repressive (Verkehrspolizei –Cyberpolizei) Massnahmen, sondern vor allem darum, die Erziehung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen zu fördern – mit welchen Entwicklungen auch immer wir uns aktuell auseinandersetzen. Diese sind weder per se negativ (so ist Sexting, wie in den Merkblättern der Pro Juventute ausgeführt, nichts Schlechtes – nur der Missbrauch davon) noch per se positiv. Jugendlichen müssen Aufklärung erhalten, wie damit umzugehen ist und welche Risiken es gibt, damit sie eigenverantwortlich heranwachsen können. Im Strassenverkehr sind Gefahren bekannt und bleiben bis auf ein paar aufkommende Veränderungen (bspw. durch das Aufkommen von Elektrovelos) weitgehend gleich. Es ist ganz normal, dass der Verkehrspolizist in die Schule kommt und dass Eltern ihre Kinder aufklären über die Gefahren im Strassenverkehr. In der Medienerziehung sind wir aber noch nicht soweit. Einerseits weil die „Neuen Medien“ noch wenig erforscht sind, andererseits weil sie sich so schnell weiterentwickeln, dass es sogar Fachleuten z. T. schwer fällt, die Veränderungen nachzuvollziehen. Um so erfreulicher finde ich Entwicklungen wie den Entscheid des Europäischen Gerichtshofs, Suchmaschienenbetreiber beim Datenschutz in die Pflicht zu nehmen. Wir sind da als Gesellschaft gefordert, einen guten Umgang zu entwickeln.

Die Idee, dass Aufklärung und Prävention Risiken dramatisieren oder Kinder dazu bringen, etwas auszuprobieren, ist so alt wie falsch. Die gleichen Bedenken gab es beispielsweise bei der Aufklärung zum Schutz vor Geschlechtskrankheiten: Unterstellt man damit nicht allen Jugendlichen, dass sie verantwortungslos ungeschützten Sex haben? Und bringt man sie so nicht erst auf die Idee, überhaupt ungeschützten Sex zu haben? Heute würde das wohl kaum einer mehr behaupten. An der gleichen Stelle stehen wir heute – und diese Diskussion wollen und müssen wir führen. Ich finde die Denkweisen, wie sie in diesen Blogbeiträgen zur Diskussion gestellt wurden, daher sehr wichtig.

Die Pro Juventute bringt durch ihre Aufklärungskampagne Themen ins Gespräch, die Kinder, Jugendliche, Eltern und Schulen beschäftigen. Dabei kommt immer mal wieder der Vorwurf der „Dramatisierung“ auf. Dabei ist es ein Paradox, dass das Warnen vor Gefahren immer auch die Wahrnehmung der Betroffenen beeinflusst. PW schreibt: „Werden Jugendliche als ohnmächtig, statt als handlungsfähig dargestellt, verändert das den Umgang mit ihnen und ihre soziale Roll.“ Das ist ein sehr wichtiger Punkt von ihm. Daher setze ich stets auf die Eigenverantwortung der Jugendlichen und nicht auf Verbote. Ich finde es gut, wenn sich die Pro Juventute politisch dafür einsetzt. Dabei bin ich froh um alle, die sich in diesem Sinne engagieren. Daher gilt hier ein spezieller Dank an das unermüdliche Engagement von PW, die guten Seiten von Social Media und deren kompetente Anwender immer wieder zu betonen.

Das heisst aber nicht, dass gleichzeitig keine Aufklärung betrieben werden soll. Es darf nicht sein, dass die „Handlungsfähigen“ ihre Unterstützung im sozialen Umfeld erhalten und es die Ohnmächtigen, die Hilfsbedürftigen sind, die leiden. Für diese müssen die Themen auf den Tisch.

Würden wir diese Diskussionen über die Wichtigkeit des Themas und die Definition der Begrifflichkeiten führen? Würden Lehrpersonen auf Hilfmittel und Medienberichte zurückgreifen können, um das Thema in der Schule einzubringen, wenn es die Kampagne nicht gegeben hätte?

Ich sehe eine Kampagne als ein Wechselspiel zwischen dem Inhalt und der Form der Kampagne und der Medien und anderen Rezipienten der Inhalte. Einiges ist vorauszusehen, anderes nicht. Bei der Sexting-Kampagne konnte ich feststellen, dass wir in ein brausendes Wespennest gestossen haben. Darum finde ich solche Diskussionen auch notwendig und sinnvoll. Ein wichtiger Tipp, der auch Teil der Kampagne ist, lautet: Bleiben Sie ruhig und hören Sie zu, ohne zu verurteilen.

Medienkompetenz

Bei jeder Begrüssung an einem Elternabend erwähnen Veranstalter den tiefen Graben zwischen dem Wissen der Jugendlichen und dem Unwissen von uns Erwachsenen und wie schwierig es sei, mit dem Wissen der Jugendlichen mitzukommen.

Am liebsten steige ich darauf mit folgender Fragen ein; Wer hat ein Handy in der Tasche? (in der Regel alle) Wer hat zwei Handys dabei? (in der Regel einige) Wer hat das Handy ausgeschaltet? (alle ;)) Wer hat das Handy so eingestellt, dass er/sie mitbekommt, wenn der Babysitter anruft (fast alle). Wer hat das Handy ganz ausgestellt, weil er weiss, das er sonst ständig abgelenkt ist (einige). Dann bestärke ich die anwesenden Eltern darin, dass sie bereits über Medienkompetenz verfügen.

Ich weise darauf hin, wie oft Medienkompetenz mit dem Bedienen und Benutzen möglichst vieler Anwendungen verbunden ist. Ich unterstütze die Eltern in den Bereichen der Medienkompetenzen, in denen sie stark sind, zum Beispiel, dass sie sich und die Situation einschätzen können, die Notwendigkeit von Mediennutzen kritisch hinterfragen und sie sich, wo nötig, disziplinieren oder Freiraum schaffen. Dies sind wichtige Bestandteile von Medienkompetenz. Diesen Umgang mit Medien zu lernen geht oft verloren.

Manchmal erzähle ich an dieser Stelle von Telefongesprächen mit Jugendlichen aus meiner Zeit als Jugendarbeiter, zum Beispiel, dass sie mich mit ihren Smartphones anriefen, aber es nicht schafften, sich angebracht (mit Namen) zu melden und zu formulieren, was sie von mir wollten. Der simple Ablauf (Begrüssung; sicherstellen, dass man weiss, wer am Apparat (haha, wer sagt heute noch Apparat?) ist; das Formulieren des Anliegens), der für uns Erwachsene eine Gewohnheit ist, müssen viele Jugendliche noch lernen. Ich erinnere daran, dass auch dieser Umgang und die Anpassung an gesellschaftliche Gepflogenheiten gelernt werden müssen. Hier sind die Eltern gefragt, weil diese hier den Wissensvorsprung haben und darum ihre Jungendlichen in deren Mediennutzung kompetent begleiten können.