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Experten tappen in die Dualismus Falle…

Von einigen Fachpersonen, besonders von Philippe Wampfler, wurde das Thema der aktuellen Kampagne von Pro Juventute zwar begrüsst, die Machart indes kritisiert. Wir würden in die ‚Dualismusfalle‘ tappen oder gar bewusst den Dualismus propagieren.

Die eingebrachte Definition für „Digitalen Dualismus“ lautet folgendermassen:

„Digitaler Dualismus bezeichnet die Haltung, dass der Cyberspace oder die virtuelle Welt und die sinnlich erfassbare, reale Welt einen Gegensatz bildeten. Der Digitale Dualismus ist eine verbreitete Überzeugung, die auch die mediale Berichterstattung zu Social Media prägt, wird aber von spezialisierten Soziologinnen und Soziologen abgelehnt.[1]“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Digitaler_Dualismus)

Vorab:
Als Verantwortlicher für das Thema Medienkompetenz bei Pro Juventute sehe ich mich als ‚Brückenbauer‘ zwischen der jugendlichen Lebenswelt und derjenigen der Erwachsenen. Ähnlich wie zu meiner Zeit, als ich in der Offenen und Mobilen Jugendarbeit tätig war, ist dies eine meiner Hauptaufgaben bzw. eines meiner Ziele. Mein jetziger Fokus ist der Bereich „Medienkompetenz“ und da ist einer der Wichtigsten Übersetzungsleistungen, mit der ich konfrontiert werde, dass für Jugendliche die Onlinewelt und die Offlinewelt nicht getrennt sind und beide für sie relevant sind. Bei den Erwachsenen ist es mehr und mehr auch so, es gibt aber Unterschiede, und diese stören die Kommunikation zwischen Jugendlichen und Erwachsenen erheblich. Hier ein älterer Beitrag, den ich zu diesem Thema verfasst habe.

In der Kampagne geht es folglich darum, durch Aufklärung und Sensibilisierung den Druck für Jugendliche aus überhöhten Idealbildern, die von der Gesellschaft an die Jugendlichen herangetragen werden (ob offline, etwa durch den Leistungsdruck in Schule, Beruf oder Elternhaus, der Werbung oder online) zu reduzieren. Der Grund für den Druck liegt in den überhöhten Idealbildern; Social Media ist dabei ein Kanal, der diesen Druck verstärken kann. So haben wir auch unsere Kampagne realisiert.

Wie kommt nun aber Ph.Wampfler auf die Idee, es sei genau umgekehrt?

Zuerst scheint mir wichtig Folgendes zu unterscheiden:

die willentliche, aus Überzeugung vertretene Meinung, diese „Welten“ seien getrennt,

versus

die versehentliche Vermischung der Welten, oder das Tappen in Wortfallen, die nicht einer Überzeugung entspringen, sondern einer Unachtsamkeit, Unbewusstheit dem Thema gegenüber, oder einfach aus sprachlicher Gewohnheit.

Da Ph. Wamplers Kritik lautet, Pro Juventute würde bewusst den Digitalen Dualismus verbreiten, möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, diese Kritik ihrerseits kritisch zu beleuchten:

Schauen wir uns die einzelnen Elemente der Kampagne genauer an:

Die Plakate;
Auf dem ganzen Bild lassen sich keine Anzeichen oder Anspielungen zu einer Social-Media-Applikation finden. Die Jugendlichen schauen traurig, sie halten eine Art Schablone als Idealbild vor sich.

Zu lesen ist der Text: „Viele Ideale haben mit dem echten Leben nichts zu tun; das kann zu psychischem Druck und Krisen führen.“ Dann folgt der Hinweis auf die Notrufnummer 147 für Betroffene.

Auch hier gibt es kein Hinweis auf Soziale Medien, geschweige denn eine Unterscheidung im Sinne der „Dualisierung“.

Zu lesen ist da „echtes Leben“. Wer mit Eltern oder Fachpersonen über Neue Medien und Medienerziehung redet, weiss schon, was da in der Regel kommt, wenn jemand von „echtem Leben“ oder „echtem Kontakt“ oder „echten Freunden“ anfängt. So geht es uns auch. Kann es sein, dass der Experte hier aus einem Art Reflex in seine eigene „Dualismus-Falle“ tappt?

Der Clip

Gleich verhält es mit dem Kampagnen-Clip: kein Hinweis auf Social Media, kein verstecktes „Daumenhoch“-Symbol, das auf eine Vermischung oder Wertung von on und off hinweisen könnte. Der gesprochene Text ist derselbe wie auf dem Plakat.

Die Texte auf der Kampagnenseite:
Hier kommen nach dem Claim, den wir schon bei dem Plakat und den Filmen gesehen haben, ein ein wenig ausführlicherer Text: Hier erscheinen zum ersten Mal „die Sozialen Medien“, der Hinweis auf „andere“ Medien ist vorgelagert.

„Jugendliche sind heute in den Medien und auf Sozialen Plattformen permanent mit den Bildern eines scheinbar perfekten Lebens von Gleichaltrigen und Stars konfrontiert. Der Vergleich mit diesen überhöhten Idealbildern setzt Jugendliche oft psychisch stark unter Druck. Wenn dann die Bestärkung für ein positives Selbst- und Körperbild fehlt, können Selbstzweifel, Ängste, Zwangs- oder Essstörungen bis zu Depressionen und Krisen die Folge sein. Aufklärung und Unterstützung ist daher entscheidend.

Die Jugendkampagne «Echtes Leben» von Pro Juventute zeigt auf, dass das vermeintlich perfekte Leben der anderen nicht der Realität entspricht und bestärkt Jugendliche darin, dass sie nicht durch überhöhte Idealbilder unter Druck gesetzt werden. Ein aufmerksamkeitsstarker Spot, Plakate, Aktionen an Schulen, ein Comic, Merkblätter und Onlineinformationen sensibilisieren für die Thematik und bestärken Jugendliche in ihrem Selbstbild. Eltern, Fachpersonen und Schulen in der ganzen Schweiz erhalten Informationen, wie sie Jugendliche unterstützen können.

Auch hier wird kein Gegensatz zwischen „einer virtuellen Welt oder der realen Welt“ propagiert. Es werden Lebensrealitäten von Jugendlichen angesprochen, zur Sprache kommen Medieninhalte und nicht das Medium selbst.

Diese Massnahmen, die Plakate und der Kampagnen-Clip dienen dazu, für das Thema auf einen Blick und in wenigen Sekunden zu sensibilisieren. Die weiterführenden Massnahmen dienen der konkreten Bestärkung. So ergibt sich das gleiche Bild, wenn man die Kampagnen-Merkblätter unter die Lupe nimmt: Mit Tipps wie:
• „Blenden Sie zurück, wie es war, als Sie selber jung waren. Haben Sie sich nicht auch mit neuen Looks und auffälligen Frisuren von Ihren Eltern abgegrenzt? Waren Freundinnen, Freunde nicht wichtiger als alles andere? Teilen Sie solche Erfahrungen mit Ihrer Tochter, Ihrem Sohn.
• Versuchen Sie im Gespräch, Gemeinsamkeiten zwischen Jungsein früher und heute zu finden. So lernen Sie etwas über die Mediennutzung Ihres Kindes und haben die Möglichkeit, Ihre Lebens erfahrung einzubringen.“

versucht die Kampagne, Eltern dazu zu bringen, den Dualismus zu überwinden und mit Jugendlichen zusammen Brücken zu finden.

Der Comic
Hier findet sich tatsächlich eine Art Wertung. In einer flapsigen Sprache werden die „Möchtegern-Celebrities“ und die „Möchtegern-Rich-Kids“ entwertet und den „Real-Keepers“ gegenübergesetzt. Hier findet sich auch eine Aussage hinter der man ein „dualistisches Missgeschick“ lesen könnte: „Online wäre das schnell retuschiert. Aber das Leben ist nun mal offline.“

Das Comic schliesst mit dem Satz:

„Sie fallen nicht so auf im ganzen Trubel. Weder suchen sie ständig die Aufmerksamkeit von allen noch spucken sie laute Töne. Sie sind spontan und haben Lust auf Abenteuer, aber müssen sich nicht die ganze Zeit selbst etwas beweisen und sich dabei in Szene setzen? Das macht sich nicht langweiliger. Das macht sie unabhängiger und freier als die meisten anderen. Weil sie auf sich hören. Weil sie einfach sich selbst sind.“

Auch hier geht es um ein Verhalten, um Einstellung: wieder kein Hinweis auf online oder offline.

Die Blogbeiträge:

Philipp Wampfler erwähnt ein Zitat einer Autorin aus einem der veröffentlichten Blogbeiträge:
„Beatrix Wagner, Pro-Juventute-Beraterin, schreibt in ihrem Blogbeitrag als Fazit: «Im realen Kontakt mit seinen Mitmenschen kann man der Scheinwelt am besten aus dem Weg gehen. Einige spüren es früher als andere, dass der Blick aufs Handy nicht nur gut tut.» Kommunikation mit dem Handy ist für Jugendliche real. Chatten ist das echte Leben, weil zum echten Leben auch virtuelle Gespräche gehören. Diese Einsicht hängt nicht davon ab, ob diese Gespräche per Telefon, Brief, SMS oder WhatsApp geführt werden.

Möchte man hier eine Dualität herauslesen, wie Ph. Wampfler das macht, d.h., dass der ‚Offlinewelt‘ mehr ‚Realität‘ zugesprochen wird als der Onlinewelt, kann man das tatsächlich tun. Als medienkritischer Leser gehe ich nochmals zum Blog-Artikel und lese, was da geschrieben wurde. In welchem Zusammenhang steht denn diese Aussage?

„So schön eine Tellerwäscher-Karriere oder ein Lottosechser auch scheinen mag, so unrealistisch sind die doch. Der Alltag ist pickelhart und fordert alles von uns ab. Das kann schon mal zu depressiven Gefühlen führen, wenn man glaubt, es sollte anders sein. Denn wo Menschen sich im Spagat zwischen Schein und Sein bewegen, sind Anpassungsleistungen nötig. Diese sind anstrengend. Man ist erstaunt, wie hart uns die Berichterstattungen aus den Krisengebieten der Welt mit der Realität konfrontieren und im Gegenzug einem die Traumwelt der Werbung gefangen nimmt.

Doch was schadet uns schlussendlich mehr? Sind es die Bilder der Flüchtlingsströme aus dem Krieg oder die Scheinwelt? Wir entscheiden, wie wir Meldungen und Eindrücke verarbeiten und einordnen. Wer es ganz einfach nicht auf sich einwirken lassen will oder mag, kann die Geräte ausschalten und sich mit fundiertem Journalismus befassen. Im realen Kontakt mit seinen Mitmenschen kann man der Scheinwelt am besten aus dem Weg gehen. Einige spüren es früher als andere, dass der Blick aufs Handy nicht nur gut tut.“

Es geht da gar nicht um Jugendliche. Auch nicht um jugendliche Gespräche, weder um Kommunikation, noch darum die Online- gegen die Offline-Welt auszuspielen. Es geht nur darum, dass man sich ab und zu eine medienfreie Zeit gönnen soll. Was uns P. Wampfler an anderer Stelle auch empfiehlt:

All diese Beispiele bringen mich auf zwei Thesen:

1) Experten, die sich im Bereich Neue Medien/ Social Media bewegen, haben immer wieder gegen den Digitalen Dualismus zu kämpfen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es im Umgang mit Eltern und Fachpersonen eines der dringendsten Themen ist. Mit der Zeit wird der Experte auf das Thema fixiert und reagiert mit einem Abwehrreflex auf Formulierungen wie „echtes Leben“, weil aus Erfahrung weiss man, was danach kommt.

2) Durch die Verarbeitung einer grossen Menge an Informationen fehlt die Zeit, sich vertieft mit Inhalten auseinanderzusetzen. Auch hier lauert eine Falle, mit dem Urteilen schneller zu sein als mit dem genauen Hinschauen.

Zum Schluss möchte ich eine von vielen Rückmeldungen auf unser Engagement zitieren, die mich berührt hat, weil es von jemandem kommt, dem ich vor Jahren einmal kurz ihm Rahmen einer Arbeitsstelle begegnet bin. Von ihm habe ich die folgenden E-Mail bekommen, worin er zum Schluss kommt:

„…..Nun lese ich im Tagi das Interview mit Ihnen, das mir trotz der Kürze sehr weiterhilft. So können meine Frau und ich mit unseren Hobby-Enkelinnen bei deren Besuchen getrost eher über das reale Leben sprechen, ohne die sozialen Medien verteufeln zu wollen.“

Demokratisierung von Erziehung

Die Kinder wollen gerne an einem Ort Ferien machen, wo Rambazamba und immer was los ist, die Eltern wollen dorthin, wo sie Ruhe finden und Zeit mit ihrer Familie verbringen können. Gewöhnlich setzen sich die Eltern durch und die Jugendlichen und Kinder finden sich in einem Kaff wieder, in dem nichts los ist. Nach dem die Junioren ein bisschen geschmollt haben, bleibt ihnen nichts anders übrig, als halbherzig die Zeit mit ihren Eltern abzusitzen und zu warten, bis sie wieder mit ihren Freunden zusammen sein können.
Die Entwicklung digitaler Medien macht heute den Eltern einen Strich durch die Rechnung. Die Jungen haben ihr Handy dabei und erfreuen sich, dem so ermöglichten Kontakt mit ihren Peers. Den Eltern bringt es den Frust und die Erkenntnis, dass ihre Kinder sich Tolleres, als die Zeit mit ihnen bei einem Spaziergang, vorstellen können. So verbringen sie die Ferien lieber im Haus, denn dort gibt es WLAN. Mit jeder Sekunde, die sie nicht im Netz verbringen, lassen sie die Eltern spüren, wo sie eigentlich lieber sein würden.

Mit diesem Beispiel möchte ich zeigen, wie hier das Handy als eine Art Katalysator für etwas fungiert, was schon immer Thema war. Es kommt irgendwann die Zeit, wo Eltern langweilig sind und sich Jugendliche am liebsten nur mit Gleichaltrigen auseinandersetzen. Natürlich ist das für viele Eltern eine schwierige Zeit, sind sie sich doch gewohnt, für ihre Kinder das Wichtigste zu sein. Die Möglichkeit, mit dem Handy in ständigem Kontakt mit Freunden zu sein, hält diese unliebsame Entwicklung den Eltern klar vor Augen. Was früher noch überspielbar war, ist heute offensichtlich.
Dasselbe gilt für Verbote, die Eltern gegenüber ihren Kindern aussprechen. Wenn früher noch eine gewisse Kontrolle über den Medienkonsum von Kindern möglich war, so ist dies heute hinfällig. Eltern sind immer mehr davon abhängig, dass Kinder bei der Einhaltung von Regeln mitarbeiten. Dies gilt vor allem, wenn sich Eltern den technologischen Entwicklungen verweigern und darum keine Ahnung haben, was mit welchen Geräten möglich ist.

 
Es ist verständlich, dass Eltern eine Wut auf das Handy entwickeln. Dahinter steckt aber etwas völlig anderes. Das Handy bringt Konflikte und Herausforderungen zutage, die im Familienalltag bestehen und durch die Möglichkeiten vom Handy an die Oberfläche kommen. Eltern werden gezwungen, mit Jugendlichen zu verhandeln und ihre Wünsche offen auf den Tisch zu legen. Dies ist nur fruchtbar, wenn diese Verhandlungen auf Augenhöhe geschehen (siehe mein Artikel zu Regeln). So leistet das Handy seinen Beitrag zu einer demokratischeren, sprich gleichberechtigteren Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern bzw. fast Erwachsenen.

Sexting Dramatisierung vs. Sensibilisierung

Aktuell findet online eine kleine Diskussion um die Aktualität über und die Dringlichkeit von Sexting statt.

Solche Diskussionen sind sehr wichtig. Nur, wenn über Themen diskutiert wird, kann auch dazu sensibilisiert werden. Gibt es Sexting? Was ist daran schlimm? Und braucht es Aufklärung?

Jugendorganisationen wie Pro Juventute und ihre Partner setzen sich seit langem für die Förderung der Medienkompetenz ein, informieren über mögliche negative Folgen von Sexting und zeigen Opfern vom Missbrauch von Sexting und Cyber-Mobbing, wo sie Hilfe finden. Vor einigen Tagen antwortete der Blogger Philippe Wampfler dem Newsportal Watson auf Fragen zum Thema Sexting.  Es ist erfreulich zu lesen, dass er mehrheitlich jene Empfehlungen bezüglich des Umgangs mit Sexting weitergibt, die Pro Juventute seit längerem empfiehlt. Er hat gleichzeitig auch seine Meinung kundgetan bezüglich der Aufklärungsarbeit von Pro Juventute und der Berichterstattung darüber. Das Newsportal hebt eine einzelne Aussage als Titel hervor “Das Thema Sexting wird ausgeschlachtet und dramatisiert”. Diese Aussage löste Diskussionen aus. Philippe Wampfler fasste im folgendem Blogbeitrag nach und präzisierte seine Aussagen.

Diesen Faden nehme ich gerne auf. Da sich meine Fachmeinung mit den erarbeiteten Inhalten in der Aufklärungsarbeit von Pro Juventute deckt, erlaube ich mir, in Ich-Form zu schreiben.

1 Sexting ist ein relativ neues Wort, und die Definitionen dazu sind nicht starr. Folglich müssen wir immer wieder auch klären, was wir mit dem Wort meinen. Ich verstehe darunter das Verschicken von selbst gemachten, intimen Fotos an eine bestimmte  Person. Es gibt aber verschiedene Definitionen (z.B. hier). In seinem Blogbeitrag nennt PW dies eine „mediatisierte Form von sexueller Aktivität“. In meinen Worten ist dies „eine neue Spielform der Liebe“.

Werden Fotos ohne Einverständnis gemacht, an andere weitergeschickt oder veröffentlicht, ist dies ein Missbrauch dieser Bilder und stellt darum einen Übergriff dar. Darum spreche ich diesbezüglich auch von Missbrauch von Sexting.

Wir sind uns einig, diesem Missbrauch begegnen zu müssen und den Betroffenen Hilfe zu bieten. Darum ist es auch so wichtig, darüber zu sprechen. Jugendliche, Eltern, Lehrpersonen und im Grösseren gesehen auch unsere Gesellschaft; wir alle müssen darüber sprechen und Wege finden, mit diesen und anderen Entwicklungen umzugehen.

Damit wären wir auch bei der Analogie zum Strassenverkehr. Dabei geht es nicht nur um regulative (Strassenverkehrsgesetze – Medienschutzgesetze) und repressive (Verkehrspolizei –Cyberpolizei) Massnahmen, sondern vor allem darum, die Erziehung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen zu fördern – mit welchen Entwicklungen auch immer wir uns aktuell auseinandersetzen. Diese sind weder per se negativ (so ist Sexting, wie in den Merkblättern der Pro Juventute ausgeführt, nichts Schlechtes – nur der Missbrauch davon) noch per se positiv. Jugendlichen müssen Aufklärung erhalten, wie damit umzugehen ist und welche Risiken es gibt, damit sie eigenverantwortlich heranwachsen können. Im Strassenverkehr sind Gefahren bekannt und bleiben bis auf ein paar aufkommende Veränderungen (bspw. durch das Aufkommen von Elektrovelos) weitgehend gleich. Es ist ganz normal, dass der Verkehrspolizist in die Schule kommt und dass Eltern ihre Kinder aufklären über die Gefahren im Strassenverkehr. In der Medienerziehung sind wir aber noch nicht soweit. Einerseits weil die „Neuen Medien“ noch wenig erforscht sind, andererseits weil sie sich so schnell weiterentwickeln, dass es sogar Fachleuten z. T. schwer fällt, die Veränderungen nachzuvollziehen. Um so erfreulicher finde ich Entwicklungen wie den Entscheid des Europäischen Gerichtshofs, Suchmaschienenbetreiber beim Datenschutz in die Pflicht zu nehmen. Wir sind da als Gesellschaft gefordert, einen guten Umgang zu entwickeln.

Die Idee, dass Aufklärung und Prävention Risiken dramatisieren oder Kinder dazu bringen, etwas auszuprobieren, ist so alt wie falsch. Die gleichen Bedenken gab es beispielsweise bei der Aufklärung zum Schutz vor Geschlechtskrankheiten: Unterstellt man damit nicht allen Jugendlichen, dass sie verantwortungslos ungeschützten Sex haben? Und bringt man sie so nicht erst auf die Idee, überhaupt ungeschützten Sex zu haben? Heute würde das wohl kaum einer mehr behaupten. An der gleichen Stelle stehen wir heute – und diese Diskussion wollen und müssen wir führen. Ich finde die Denkweisen, wie sie in diesen Blogbeiträgen zur Diskussion gestellt wurden, daher sehr wichtig.

Die Pro Juventute bringt durch ihre Aufklärungskampagne Themen ins Gespräch, die Kinder, Jugendliche, Eltern und Schulen beschäftigen. Dabei kommt immer mal wieder der Vorwurf der „Dramatisierung“ auf. Dabei ist es ein Paradox, dass das Warnen vor Gefahren immer auch die Wahrnehmung der Betroffenen beeinflusst. PW schreibt: „Werden Jugendliche als ohnmächtig, statt als handlungsfähig dargestellt, verändert das den Umgang mit ihnen und ihre soziale Roll.“ Das ist ein sehr wichtiger Punkt von ihm. Daher setze ich stets auf die Eigenverantwortung der Jugendlichen und nicht auf Verbote. Ich finde es gut, wenn sich die Pro Juventute politisch dafür einsetzt. Dabei bin ich froh um alle, die sich in diesem Sinne engagieren. Daher gilt hier ein spezieller Dank an das unermüdliche Engagement von PW, die guten Seiten von Social Media und deren kompetente Anwender immer wieder zu betonen.

Das heisst aber nicht, dass gleichzeitig keine Aufklärung betrieben werden soll. Es darf nicht sein, dass die „Handlungsfähigen“ ihre Unterstützung im sozialen Umfeld erhalten und es die Ohnmächtigen, die Hilfsbedürftigen sind, die leiden. Für diese müssen die Themen auf den Tisch.

Würden wir diese Diskussionen über die Wichtigkeit des Themas und die Definition der Begrifflichkeiten führen? Würden Lehrpersonen auf Hilfmittel und Medienberichte zurückgreifen können, um das Thema in der Schule einzubringen, wenn es die Kampagne nicht gegeben hätte?

Ich sehe eine Kampagne als ein Wechselspiel zwischen dem Inhalt und der Form der Kampagne und der Medien und anderen Rezipienten der Inhalte. Einiges ist vorauszusehen, anderes nicht. Bei der Sexting-Kampagne konnte ich feststellen, dass wir in ein brausendes Wespennest gestossen haben. Darum finde ich solche Diskussionen auch notwendig und sinnvoll. Ein wichtiger Tipp, der auch Teil der Kampagne ist, lautet: Bleiben Sie ruhig und hören Sie zu, ohne zu verurteilen.

Regeln

Ein Thema, das immer zur Sprache kommt, sind Regeln. Eltern wünschen sich Vorgaben, an die sie sich halten können. Wie lange darf mein Kind vor dem Bildschirm sein? Ab wann soll es ein Handy bekommen? Wann ist ein FB-Profil zu eröffnen? Ich und die meisten anderen, die im Bereich Medienkompetenz arbeiten, sind sich einig, dass es für diese Fragen keine klaren Antworten gibt. Ich nenne immer drei Gründe, warum es schwierig ist:

1)      Jeder Mensch ist anders hinsichtlich seines Charakters, seiner Entwicklung und seiner Neigungen. Dies macht es unmöglich zu sagen, ab welchen Alter jemand für was bereit ist. Ist das Kind risikofreudig und vertraut es sofort jedem und jeder, braucht es andere Regeln als bei einem zurückhaltenden ängstlichen Kind.

2)      Erziehungsstile sind so verschieden wie es auch die Eltern sind. Wie viel Schutz braucht ein Kind? Will man es in einer behüteten Welt aufwachsen lassen oder bereits früh an „die Welt“ gewöhnen? Dies ist nur einer von vielen Punkten, in welchen sich Erziehung unterscheiden kann. Beide Ansichten haben ihre Vor- und Nachteile, bedingen aber sehr unterschiedliche Regeln, auch in der Medienerziehung.

3)      Wir wissen es noch nicht. Gesichertes Wissen rund um die Neuen Medien existiert erst in Grundzügen. Daher ist es zurzeit noch schwierig, auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückzugreifen. Auch das Erfahrungswissen von Erziehenden entsteht erst. Halbwissen zu Grundsätzen zu machen und polemisch zu verbreiten, hilft niemandem.

Manchmal gebe ich als Diskussionsgrundlage die 3-6-9-12-Regel. Obwohl ich immer extra erwähne, dass es sich dabei um eine Orientierungshilfe handelt, stürzen sich Eltern darauf und nehmen sie als bare Münze. Schwierig finde ich dabei, dass eine Regel das wirklich Wichtige verhindert: das Aushandeln von Vereinbarungen mit den Kindern und Jugendlichen, also das Gespräch und den Dialog. Ich meine: Besser ist es, selbst Regeln zu vereinbaren, als welche zu übernehmen.

Medienkompetenz

Bei jeder Begrüssung an einem Elternabend erwähnen Veranstalter den tiefen Graben zwischen dem Wissen der Jugendlichen und dem Unwissen von uns Erwachsenen und wie schwierig es sei, mit dem Wissen der Jugendlichen mitzukommen.

Am liebsten steige ich darauf mit folgender Fragen ein; Wer hat ein Handy in der Tasche? (in der Regel alle) Wer hat zwei Handys dabei? (in der Regel einige) Wer hat das Handy ausgeschaltet? (alle ;)) Wer hat das Handy so eingestellt, dass er/sie mitbekommt, wenn der Babysitter anruft (fast alle). Wer hat das Handy ganz ausgestellt, weil er weiss, das er sonst ständig abgelenkt ist (einige). Dann bestärke ich die anwesenden Eltern darin, dass sie bereits über Medienkompetenz verfügen.

Ich weise darauf hin, wie oft Medienkompetenz mit dem Bedienen und Benutzen möglichst vieler Anwendungen verbunden ist. Ich unterstütze die Eltern in den Bereichen der Medienkompetenzen, in denen sie stark sind, zum Beispiel, dass sie sich und die Situation einschätzen können, die Notwendigkeit von Mediennutzen kritisch hinterfragen und sie sich, wo nötig, disziplinieren oder Freiraum schaffen. Dies sind wichtige Bestandteile von Medienkompetenz. Diesen Umgang mit Medien zu lernen geht oft verloren.

Manchmal erzähle ich an dieser Stelle von Telefongesprächen mit Jugendlichen aus meiner Zeit als Jugendarbeiter, zum Beispiel, dass sie mich mit ihren Smartphones anriefen, aber es nicht schafften, sich angebracht (mit Namen) zu melden und zu formulieren, was sie von mir wollten. Der simple Ablauf (Begrüssung; sicherstellen, dass man weiss, wer am Apparat (haha, wer sagt heute noch Apparat?) ist; das Formulieren des Anliegens), der für uns Erwachsene eine Gewohnheit ist, müssen viele Jugendliche noch lernen. Ich erinnere daran, dass auch dieser Umgang und die Anpassung an gesellschaftliche Gepflogenheiten gelernt werden müssen. Hier sind die Eltern gefragt, weil diese hier den Wissensvorsprung haben und darum ihre Jungendlichen in deren Mediennutzung kompetent begleiten können.