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Erziehung Online / Offline

Erziehung Online / Offline

An vielen Elternabende die ich durchführe geht es um Ängste und Unsicherheiten rund um  digitale Medien. Ich bestärken Eltern darin, dass sie selbst viele wichtige (Medien-)Kompetenzen mitbringen. Beispielsweise haben wir Erwachsene gelernt, dass wir Unbekannten nicht grundsätzlich vertrauen, wir uns von ihnen nicht um den Finger wickeln lassen. Oder wir glauben nicht alles, was wir lesen. Wenn sich Erwachsene dieser Stärken bewusst sind, ist es für sie einfacher, sie den Kindern auch für die Online-Welt zu vermitteln.

Erwachsenen ist der Unterschied zwischen der „realen“ und der „virtuellen“ Welt sehr wichtig, was oftmals gelingende Kommunikation verhindert. Ich streite nicht ab, dass es Unterschiede gibt zwischen einem Online- und einem Offline-Gespräch. Darin liegt aber keine Wertung. Oft finden gerade Jugendliche online die Zustimmung, die sie offline nicht bekommen. Das Gleiche gilt für digitale Werte. Egal ob ich über ein halbes Jahr in einen Spielcharakter investiere, ein Pixelhaus baue oder in einem Online-Team ein Gebiet erobere; alles bekommt durch die intensive Auseinandersetzung einen emotionalen Wert. Ich habe als Jugendlicher einmal mein Badetuch verloren, darauf waren alle meine Schwimmabzeichen genäht. Meine Trauer galt nicht dem materiellen Wert, sondern dem „virtuellen“, das heisst, den Erlebnissen, die ich mit diesen Abzeichen verband. Wir sind uns also durchaus „virtuelle“ Werte gewohnt, gestehen sie aber der digitalen Welt nicht zu. Das Gleiche gilt für die Kommunikation und die Kontakte, die online gepflegt werden. Kinder und Jugendliche erfahren diese als real, und sie sind für sie insbesondere in der Jugendzeit sogar essenziell. Erwachsene begegnen diesen für Kinder und Jugendliche realen Werten und Kontakten aber meist mit Misstrauen, Abwertung und Widerstand. Eltern wollen nicht über die Online-Welt reden und laufen so Gefahr, einen Teil des Lebens ihrer Kinder zu verpassen.

Warst du heute gut im Spiel? Hat dein Clan den Krieg gewonnen? Konntest du deine Punkte holen? Diese Fragen sind Türöffner zu einer Welt, die für Kinder ab ca. 10 Jahren wichtig ist.

Wir raten Eltern, mit ihren Kindern über Games und Online-Gewohnheiten zu reden. Es ist wichtig, innezuhalten und ihnen zuzuhören, statt sie nur vor allfälligen Gefahren zu warnen oder sie gar vom Gamen abzuhalten. Wollen wir von Kindern und Jugendlichen ernst genommen werden, müssen sie das Gefühl bekommen, dass wir Anteil nehmen. Dies ist nicht als Bringschuld der Jugendlichen zu verstehen, sondern als Hohlschuld der Erwachsenen. In vielen Familien geschieht das automatisch.

Weil es Kinder gibt, die die nicht über ideale Bedingungen verfügen, brauchen wir Stützsysteme, die hier greifen. Schulsozialarbeit, offene Jugendarbeit, Jugendberatungsstellen oder die KESB leisten hier wichtige Beiträge. Mit dem Lehrplan 21 sind Medienkompetenzen Teil des Schulstoffs. Aus meiner Sicht bringt der Lehrplan zwei massgebliche Änderungen: Erstens beinhaltet er neue Kompetenzen, die für den sicheren und zielgerichteten Umgang mit digitalen Medien wichtig sind. Zweitens distanziert er sich von einer reinen Auflistung von zu behandelnden Inhalten, betont hingegen die Fähigkeiten, die erlernt werden sollen. Hier stehen wir vor grossen Herausforderungen, wie diese Vorhaben umgesetzt werden, damit Chancengleichheit entstehen kann.

Wie im Strassenverkehr braucht es auch in der digitalen Welt schützende Regeln. Die rasche Entwicklung und die schiere Grösse des Internets erschweren diese. Gewisse Ansätze existieren aber bereits. Beispielsweise kategorisiert die PEGI Spiele nach ihrem Inhalt. Wäre es dabei nicht sinnvoll, auch einzelne Funktionen zu kennzeichnen, die für Kinder gefährlich werden können?

Erwachsene, die mit schlechten Absichten Kontakt zu Kindern suchen, gab es schon immer auf Spielplätzen, Schulhöfen und Sportanlagen. Im Unterschied zu Online-Räumen kennen Eltern diese Kindertreffpunkte. Sie sind selbst oft dort anwesend, genauso wie ab und zu die Polizei oder andere Vertrauenspersonen. Ähnlich verhält es sich in der Online-Welt: Auch hier hilft es, wenn wir uns dort ab und zu selbst aufhalten, um uns zu informieren. Also, lasst uns miteinander reden, chatten, spielen und mit Visionen an den digitalen Herausforderungen arbeiten. Neulich fragte ich eine Schulklasse, was das Internet sei. Ein Mädchen in der hintersten Reihe hat darauf gerufen: „Freundschaft, Gemeinschaft, Liebe!

Dieser Beitrag ist in leicht anderer Version 2018 in der NZZ als Gastkommentar erschienen

Jetzt legt doch mal das Handy weg!?

Jetzt legt doch mal das Handy weg!?

Eine Gruppe Jugendlicher betritt den Jugendtreffpunkt. Das Handy schon in der Hand, werfen sie sich auf das Sofa und sind im Nu in ihre Handys vertieft. Aus der Perspektive des aussenstehenden Beobachters ist dies schwierig mitanzusehen, weiss die Fachperson der Soziokulturellen Animation doch die Zeit besser zu nutzen, als „nur“ ins Handy zu schauen.

Doch führt diese Sichtweise zu einem gewinnbringenden Dialog?

Eigenschaften von Medien berücksichtigen
Medien sind nur die Vermittler von Botschaften, während die Nutzenden immer die Handelnden sind. Dennoch lassen digitale Medien das Gefühl entstehen, uns „zu etwas zwingen zu wollen“. Das können sie jedoch nicht. Im Gegensatz zu früher stehen die heutigen digitalen Medien in unbegrenzter Menge, kopierbar und zeitunabhängig zur Verfügung. Dadurch entsteht eine echte Herausforderung, einen Umgang mit ihnen zu finden. Allerdings werden wir in der Reflexion über Mediennutzung scheitern, wenn wir uns dabei auf alte Konzepte stützen oder uns frühere Umstände zurückwünschen. Was wir wissen ist, dass die Zukunft viel Ungewisses und schnelle Veränderungen bringt. Daher wird es immer wichtiger, flexibel reagieren zu können und über kreative Kompetenzen zu verfügen (Genner 2017, S. 42).

Abschied vom „Richtigen“
Viele Aspekte der Mediennutzung sind einem schnellen Wandel unterworfen und für uns neu. Als Beispiel seien hier die Veränderungen in Bezug auf Privatsphäre und Öffentlichkeit angeführt. Wir müssen uns davon verabschieden, dass es hinsichtlich der Mediennutzung nur einen richtigen Ansatz gibt. Bestenfalls können wir ein Bewusstsein darüber erlangen, was für uns richtig ist oder uns gut tut. Wichtig ist, die Kompetenz zu erlernen, eigenes Verhalten zu reflektieren und selbstständig anzupassen. Norbert Groeben stellte bereits im Jahr 2002 fest, dass Mediennutzung zu einem sozialen Event wird. Neben der viel zitierten Medienkritikfähigkeit sind auch das Finden eines angemessenen Medienkonsums und damit einhergehend das Entwickeln einer medienbezogenen Genussfähigkeit wichtig.

Positive Mediennutzung
Allzu oft verstricken wir uns in der Diskussion, ob neue Entwicklungen nun gut oder schlecht sind. Wir können kritische Fragen äussern, es wird die Welt, in der unsere Jugendlichen aufwachsen, jedoch nicht ändern. Um gewinnbringende Gespräche mit Jugendlichen zu führen, sind wir daher gezwungen, eine positive Vorstellung von Mediennutzung zu entwickeln, die sich an den heute zur Verfügung stehenden Medien orientiert. Wir müssen uns Fragen stellen wie: Wann ist Mediennutzung ok? Wie viel Zeit darf dafür aufgewendet werden? Was macht eine positive Mediennutzung aus? Daraus resultierende Prinzipien ermöglichen uns eine positive Herangehensweise, wobei etwas gelernt wird, die Kommunikation zunimmt und Kontakte entstehen. Dabei darf allerdings nicht vergessen gehen, dass auch passive Mediennutzungsformen ihre Berechtigung haben, indem beispielsweise zum Entspannen ein Film geschaut wird.

Bezeichnungen, die nicht wertend sind
Ergänzen wir die Mediennutzung mit Adjektiven wie „gut“, „vernünftig“ oder „angebracht“, entsteht schnell eine Wertung. Als wertefreie Formulierung schlage ich daher „zielgerichtete oder bewusste Mediennutzung“ vor.

Der Begriff „zielgerichtete Mediennutzung“ erlaubt folgende Arbeitsweise, die wir aus unserer täglichen Arbeit kennen: Ziel setzen, Ziel überprüfen, Verhalten anpassen. Dieses einfache Vorgehen verwende ich jedes Mal, wenn ich ein Medium nutze. Wichtig dabei ist, dass jegliche Ziele erlaubt sind. Da es darum geht, unsere Mediennutzung zielgerichtet zu gestalten, kann Entspannung zwar eine mögliche Konsequenz, keinesfalls aber das Ziel sein.

Diese Überlegungen gilt es nun, in die Arbeit mit Jugendlichen zu übertragen. Anstatt ein Gespräch mit der Aufforderung „jetzt legt doch mal das Handy weg“ zu beginnen, könnte der Gesprächseinstieg über die Frage erfolgen: „Schön seid ihr da, warum seid ihr eigentlich hergekommen?“ Dadurch entwickelt sich allenfalls ein Gespräch, das zeigt, dass das Treffen von Freunden und zusammen Spass haben im Vordergrund stehen. Folglich möchten sie vielleicht das Handy weglegen und ein Turnier organisieren. Möglich ist auch, dass der „Spass“ darin besteht, sich gegenseitig Filme vorzuspielen. Warum nicht daraus einen Event machen?

Zu akzeptieren ist allerdings auch, dass Jugendliche sich freuen, endlich einen Ort zu haben, an dem sie ihre Handys nutzen können, ohne dafür kritisiert zu werden.

Beitrag in gekützter Fassung erschienen in: https://doj.ch/infoanimation-digitale-medien-in-der-okja/

Genner S. (2017). Digitale Transformation: Auswirkungen auf Kinder und

Jugendliche in der Schweiz – Ausbildung, Bildung, Arbeit, Freizeit. Zürich: ZHAW Zürcher

Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Groeben, N. (2002). Dimensionen der Medienkompetenz: Deskriptive und normative Aspekte. In: N.

Groeben & B. Hurrelmann (Hrsg.). Medienkompetenz: Voraussetzungen, Dimensionen, Funktionen

(S. 162−202). Weinheim: Juventa.